Von Kairo nach Khartoum

Einleitung

Von Ende Februar bis Anfang April 2012 bin ich mit einem Freund von Kairo nach Khartoum gereist. Im wesentlichen wollten wir uns den frisch geteilten Sudan anschauen: nach etwas mehr als einer Woche Ägypten hatten wir dann auch ein Visum und konnten die restlichen fünf Wochen dort verbringen.

»Warum denn in den Sudan?« – Diese Frage habe ich mindestens genauso häufig gehört wie ein »na hoffentlich kommst Du heil wieder«. – Zunächst hatte ich natürlich im Vorfeld von Leuten, die ich auf anderen Reisen traf, davon gehört, wie toll der Sudan sein solle, und das wird auch in jedem Traveller-Forum, das man besucht, schnell deutlich. Ursprünglich sollte die Reise von Kairo nach Dar es Salaam gehen, also durch den frisch geborenen Südsudan. Angesichts der Ereignisse im Januar/Februar und was sich im März/April aus dem Heglig Incident entwickelte, musste ich aber kurzfristig umdisponieren und die Reise in Khartoum enden lassen.

Der Sudan ist ein extrem verkanntes Land, das mit großen Problemen sowohl wirtschaftlicher als auch ethnisch/religiöser Art zu kämpfen hat. Nach wie vor durch ein Handelsembargo der USA geschwächt, sind die Ölabnehmer – und somit auch die Investoren in Infrastruktur – hauptsächlich Chinesen, weniger Araber und ein einige Inder; und während seit den 80'er Jahren die Islamisierung voranschreitet, der Sudan eine Sharia-konforme Gesetzgebung hat und sich im wesentlichen zu den Arabern orientiert, sehen diese in den Sudanesen trotzdem »nur Afrikaner«.

Bekannt ist der Sudan wenn dann vor allem wegen das Darfur-Krieges im Westen des einst größten Landes Afrikas. Offiziell bloß »Konflikt« genannt und von der westlichen Welt im wesentlichen ignoriert, haben die Auseinandersetzungen, die teilweise genozidal anmuten, Millionen von Menschen vertrieben – Hunderttausende sind seit 2003 gestorben. Der Konflikt beschränkt sich allerdings auf die Darfur-Region, die ziemlich abgeschnitten vom restlichen Sudan ist. Trotzdem ist der Sudan als Reiseland extrem sicher.

Unsere Reiseroute umfasste zehn Stationen, an denen wir teils nur einen Tag, teils eine ganze Woche verweilt haben. Die folgenden Links springen direkt zu den entsprechenden Abschnitten im Reisebericht: A KairoB AswanC Wadi HalfaD WawaE DongolaF KarimaG AtbaraH Port SudanI KassalaJ Khartoum

Der Großteil des nachfolgenden Textes ist eine unveränderte Abschrift aus meinem Reisetagebuch, daran erkennbar, dass der Text eingerückt und mit etwas farbigem Hintergrund versehen ist. Wo es vorkommt, habe ich das Datum der Einträge mit abgeschrieben. Die Überleitungen und Bildunterschriften sind im Nachhinein entstanden und enthalten Hintergrundinformationen oder spätere Gedanken.

Die Bilder öffnen sich bei einfachem Klicken im aktuellen Fenster, über dem Text. Um wieder zum Text zurück zu kehren, einfach in den abgedunkelten Bereich klicken oder auf das kleine Kreuz unten rechts. Die Bilder sind in voller Auflösung da; um sie runterzuladen, einfach mit einem Klick auf die mittlere Maustaste oder mit eienm Rechtsklick in einem neuen Tab öffnen.

Kairo

Am Start der Reise, in Kairo, verbringen wir fünf Tage. Zu der Zeit und im Vergleich zu Deutschland gefiel es uns gut, sogar das Wetter war besser:

24. Februar 2012

Als wir in Kairo ankommen ist es schon dunkel. Obwohl es überraschend kalt ist (15°C), liegt dieses gewisse Aroma in der Luft, ähnlich wie in Dubai: ein Mix aus feuchter Luft, Sand und Smog. Am Ausgang des Flughafens wartet Mohammed mit einem Schild auf uns. In einer Stadt, in der irgendwas zwischen zehn und 20 Mio. Menschen leben, muss man sicherlich nicht direkt nach der Ankunft auf eigene Faust losziehen – da kann man sich schon mal den kostenlosen Abholservice vom Hostel genehmigen!

Der erste Gang um die Blocks – nachdem wir zehn Stockwerke, an im Hausmüll eifrig suchenden Katzen vorbei runter gegangen sind – ist etwas enttäuschend: wir haben Hunger, kein Geld und die ersten zwei ATMs haben meine MasterCard nicht akzeptiert. Ein paar Straßen weiter aber dann Erfolg: Ich erhalte 1.000£E.

Wir gehen essen und uns mit der Umgebung vertraut machen; später setzen wir uns in ein Shisha-Café am Straßenrand.

Zwei Eindrücke dominieren: erstens ist es kalt, vielleicht sollte ich mir einen Pullover kaufen; zweitens ist es hier alles sehr entspannt: die Straßen sind voll und der Verkehr chaotisch, aber die Leute achten aufeinander; wir werden als Europäer nicht besonders angeschaut – alles in allem eine sehr freundliche Stimmung.


Kairo am Morgen: noch verdecken Staub und Nebel die Gebäude, alles lässt eine schöne Stadt vermuten ...

... doch später entfaltet sich die ganze Pracht der sandfarben–braunen Häuser, die scheinbar mit Satellitenschüsseln gedeckt sind.

Aus dem Zimmer im elften Stock lässt sich das Leben ganz gut beobachten. Die Moschee links ist auch nicht zu leise eingestellt.


Natürlich bleibt es in einer Großstadt wie Kairo, in einem Land, das auch noch zu einem großen Teil vom Tourismus lebt, nicht aus, dass man in der Innenstadt ständig angelabert wird.

25. Februar 2012

Auf unseren ersten Streifzügen durch die Stadt den heutigen Tag über haben wir zweimal forcierte Verkaufs-Gastfreundschat kennen gelernt. Zunächst hat uns ein älterer Mann in einen kleinen Laden geführt, wo wir prompt eine Live-Demonstration bekamen, wie aus Schilf Papyrus wird; anschließend hat uns der Verkäufer gezeigt, dass seine ziemlich kitschig anmutenden »Das ist Pharaonenkunst!«-Bilder auch im Dunkel leuchten. Als uns das noch nicht veranlasste, in Begeisterung auszubrechen, erklärte er freudestrahlend, seit das Mubarak-Regime weg sei, würden seine Bilder nur noch 100£E statt 300£E kosten, denn er müsse jetzt keine Steuern mehr zahlen: »100 for you is 100 for me.« Den angebotenen Tee – »Egyptian whiskey, hehe« – haben wir dankend abgelehnt und sind weiter gezogen.

Die zweite Inszenierung war weniger interessant, aufdrängend und perfide: jemand sprach uns auf einer Bücke an, packte seine paar Sätze Deutsch aus und wollte uns dann seine Business Card geben, die er natürlich nicht dabei hatte; also sind wir ihm in sein Office gefolgt. Überraschender- und glücklicherweise würde seine Schwester morgen heiraten, – die wir dann auch direkt kennen lernen sollten, wie auch seinen Bruder Mohammed. Wir bekamen Tee (»Egyptian hospitality!«) und prompt begann M., zwei Papyrus-Malereien mit schwarzer Tusche am Rand mit unseren Namen zu inskribieren: natürlich auch das »Egyptian hospitality«. Nachdem er uns diverse andere Bilder gezeigt hatte und uns drängte ihm zu sagen, welches uns gefiele, sodass er uns »glücklich machen« könne – was er auch prompt tat, indem er Davids Namen, wohlgemerkt als ديويد statt ديفيد auf das Bild malte – nachdem wir nun also drei mit unseren Namen vollgetuschte Bilder hatten, ging es natürlich um's Bezahlen. Argumente wie »wir brauchen es nicht« (Familie!), »wir können das nicht im Gepäck transportieren« (Falten, ist unkaputtbar!) und »wir haben kein Geld« (was der Wahrheit entsprach) veranlassten ihn nur, im Preis von 300 auf 50£E runter zu gehen. Schließlich wurde er ob der Diskussion wütend, spendierte mir den Titel most complicated person in the world und gab barsch zu verstehen, dass wir den Tee bei seiner Schwester doch bitte im Hinausgehen bezahlen sollten. Perfide ja, aber es funktioniert sicher häufig.

Lustigerweise trafen wir zwei Wochen später im Sudan einen anderen Deutschen, der auf der gleichen Brücke von dem gleichen Typen angesprochen wurde. Zufällig sollte außerdem auch die Schwester am kommenden Tag heiraten. – Während er nichts gekauft hat, war es auf dem Rückflug von Kairo doch interessant zu sehen, was für Leute so Papyrus-Malereien im Handgepäck hatten...

Solche Touri-Fänger prägen natürlich irgendwie das Erlebnis der Stadt. Und die ersten Tage sollten wir abgesehen von sich nach ein paar Minuten als Verkäufer herausstellenden jungen Leuten nie jemand interessanten treffen. Das ist schade.

Eine Station mussten wir natürlich beim Stadtbummel noch besuchen:

Zu Anfang waren wir beim Tahrir Square gewesen. Das, was man bei uns als Occupy Camps bezeichnen würde waren dort notdürftig aus Holz und dünnem, mit Graffiti besprühten Stoff zusammengezimmerte Dreieckszelte, deren Bewohler leider eher wie Obdachlose als wie Revolutionäre aussahen. Im wesentlichen als nicht sehr eindrucksvoll.


Bei Kairo ist der Nil schon ziemlich breit. Auch die Skyline ist eindrucksvoll.

Mitten im Zentrum steht das ausgebrannte ehemalige Regierungsgebäude von Mubarak – wie ein Mahnmal.

Das Wetter ist nicht immer nur kalt im Frühling: Manchmal fegen zusätzlich auch Sandstürme durch die Stadt.


Nach Kairo reist man außerhalb des Sommers eigentlich nicht, wenn man warmes Wetter sucht, und das war gewissermaßen erklärtes Ziel der Reise. Nein, der eigentliche Grund war, dass wir ein Visum für den Sudan brauchen, und das zu bekommen ist alles andere als einfach.

Das Rezept für ein Visum sieht so aus: Aus dem Ausland über ein sudanesisches Konsulat mit vielen Formularen, Einladung von Sudanesen und diversem drumherum prinzipiell möglich, Dauer: mehrere Monate. Aus Kairo prinzipiell innerhalb von einem oder zwei Tagen. Dafür benötigt man aber einen sogenannten letter of introduction der eigenen Botschaft, die damit garantiert, für einen zu sorgen, falls man gesundheitlich oder monetär nicht mehr in der Lage sein sollte. (Dass die deutsche Botschaft das sowieso tun muss ist eine ganz andere Geschichte. Es geht um den bürokratischen Aspekt an der Sache.)

27. Feburar 2012

Der gestrige, erste Besuch bei der deutschen Botschaft erbrachte uns lediglich die Information, die Passstelle habe nur von 8–11 Uhr geöffnet. Frühes Aufstehen und längeres Warten entlockt dem Verantwortlichen vor Ort genau einen Satz: »Wir können Ihnen keinen letter of introduction ausstellen, weil wir Deutschen von der Reise in den Sudan abraten.« – Bam, alle Pläne fallen in sich zusammen. Ohne einen solchen Brief ist es, wenn man den Reiseführern glauben darf, nur äußerst schwer möglich, überhaupt ein Visum für den Sudan zu erhalten.

Wieauchimmer. Wo ein WIlle ist, ist auch ein Weg – wir machen uns auf die Suche nach der sudanesischen Botschaft. Das ist leichter geesagt als getan, denn wir wissen nur, dass sie einige Kilometer südöstlich des Tahrir Square liegt, in der Nähe der kanadischen. Aber es ist ja noch früh am Morgen. –

Das Viertel, um das wir beim ersten Bummel noch einen größeren Bogen gemacht haben, lernen wir nun kennen:

Die Region, in der die Botschaft liegt, ist mitten im Kairoer Regierungsviertel. Die Zugänge sind teilweise mit improvisierten Mauern aus kubikmetergroßen Betonblöcken dichtgemacht – so dass ganze Straßen »tot« sind – und teilweise mit großen Rollen von Stacheldraht (kein Nato-Draht!) zu »Grenzposten« umfunktioniert, von Polizei und Militär bewacht. Man kann ohne Probleme durch – die Straßen sind voll! – doch die Stimmung ist eher unangenehm. Eine Seitenstraße weiter sehen wir, wie sich eine Montagsdemo formiert.

Die Regierungsgebäude werden von Soldaten, die auf Panzern sitzen, bewacht. Die Scheiben des unteren Stockwerkes des Ministry of Development sind demoliert. Die amerikanische Botschaft gleicht einer Festung, und der Panzer davor hat den Motor angelassen. Davor steht eine hundert Meter lange Schlange.

Nachdem wir keine Idee mehr haben, wo wir suchen sollen und die Polizei uns nur die türkische Botschaft zeigen kann, steigen wir in ein Taxi. Der Fahrer fährt zehn Meter, erfährt, dass wir zur sud. Botschaft wollen, lacht nur, und zeigt die Straße runter – Geld will er partout nicht annehmen. Nachdem wir die Straße zweimal hoch und runter gelaufen sind, und nach weiterem Fragen, finden wir schließlich das unscheinbare und nicht wirklich bewachte Gebäude.

Es sieht nicht wirklich touristenfreundlich aus in der Visastelle. Zwei der drei Counter sind englisch beschriftet – Cashier und Passport Control – der Rest, inklusive der Anleitungen, vermute ich, ist auf arabisch. Zido [mein Mitreisender] erfährt am Counter, dass die Computer kaputt sind und wir mit mindestens einer Woche Wartezeit rechnen müssen. Wir bekommen jeweils ein Formular, doppelseitig DIN A4, dicht bedruckt in englisch/arabisch. (Zum Vergleich: der Antrag für Ägypten war eine A6-Postkarte.) – Das Formular fragt u.a. nach Religion und Blutgruppe(!), die ich nicht kenne. In den eine Viertelseite umfassenden Kasten Sponsor könnten wir wohl unseren Botschafter eintragen – wenn wir denn den letter als Nachweis hätten. So kommen wir nicht weiter und beschließen, im Internet und Reiseführer nach einem Ausweg zu suchen. Das Lonely-Planet-Forum erweist sich als aufschlussreich: In Aswan, wo wir ohnehin zwei Tage später hinwollten, gibt es ein weiteres Konsulat, das auch Visa ausstellen kann; das möglicherweise sogar schneller und – hoffentlich – auch ohne einen solchen letter. [...]


Mit solch einem Antrag sieht man sich konfrontiert, wenn man ein Visum für den Sudan beantragen will.

Auch nicht besonders touristenfreundlich: der Kairoer Verkehr, durch den man sich Tag für Tag kämpfen muss ...

... aber die schöne Nilbegrünung in ruhigeren Vierteln kann einen das schnell vergessen lassen.


Das Abendprogramm fällt eher spärlich aus:

– Wir sitzen in einem Straßencafé, eher: Plastikstühle auf dem Bürgersteig, und lassen das abendliche Treiben bei Shisha und Tee vorbeiziehen. Eben kam ein Feuerschlucker mit dressiertem Pudel vorbei, der Männchen machen konnte und auf Kommando in den Rucksack des Künstlers kroch.

Nach einer weiteren Episode des Schemas Netter Mensch stellt sich doch als Verkäufer heraus – diesmal war es ein alter, bemitleidenswerter Mann, der überraschend gut Deutsch sprach und früher in Bayern bei BMW gearbeitet hatte – sind wir langsam genervt: Gibt es denn keine normalen Leute in dieser Stadt?

29. Februar 2012

[...] Prompt spricht uns jemand an, ob uns nicht kalt sei. Dieser jemand, stellt sich heraus, ist der Bruder von Dr. Akoush, der Arabisch an meiner Uni lehrt. Said macht seinen Doktor in Islamwissenschaften und erzählt interessante Dinge. Wir verabreden uns für den Abend.

Said holt und vor dem Hotel ab (er wohnt gegenüber) und wir gehen essen – das beste Essen bisher in Kairo: würzig, aber abwechslungsreich und extrem sättigend. Wir reden über den Islam, über die Emirats-Staaten, deren Städte extrem langweilig sein sollen, und über die Revolution. Said hat während der Revolution Interviewpartner für ausländische Fernsehsender organisiert. Er hat aber auch eine Narbe am Haaransatz, die mit 16 Stichen genäht werden musste; außerdem eine Kugel im linken Schienbein.

Den folgenden Tag verbringen wir mit Said, der uns sein Viertel Bulaq zeigt, das im Herzen der Kairoer Innenstadt von der Regierung als »Schandfleck« wahrgenommen wird und dessen Bewohner durch Zwangsräumungen und -umsiedlungen drangsaliert werden. (Siehe diese Dokumentation.)

Abends geht es endlich los: Wir probieren die Kairoer U-Bahn aus und kaufen Zugtickets, und am 1. März sind wir in Aswan.

Aswan

Endlich Kairo entkommen, entpuppt sich Aswan als wesentlich entspannter und irgendwie »afrikanischer«.

1. März 2012

»الله أكبر (allahu akbar)« hallt es in voller Lautstärke aus den Lautsprechern hinter mir. Es ist kurz nach drei Mittags, und heute morgen um 11 Uhr sind wir erst mit dem Zug aus Kairo angekommen. Die Fahrt war mehr oder weniger komfortabel, und von drei bis sechs konnte ich, in meinen Schlafsack eingewickelt, ein bisschen schlafen. Frühstück im Zug ist auch wie in Deutschland weder frisch noch günstig, ganz im Gegenteil: in Plastik verpackt und teuer.

Aswan macht zunächst einen netten Eindruck: in der Sonne ist es wirklich warm (!), und insgesamt herrscht eine »afrikanischere« Mentalität. Hier gibt es viel weniger Autos, statt dessen mehr von Eseln und Pferden gezogene Karren; weniger Zuckerzeug, mehr Obst; viele Schulkinder. Doch die Guides, die sich anbieten, sind extrem hartnäckig: Nicht nur können sie mehr als ein paar Worte Deutsch, sie haben alle das gleiche Programm auf Lager: Elefanteninsel, Staudamm, Basar – »Ägyptischer Ferrari«, wie sie ihre Kutschen nennen – »heute fahren, morgen bezahlen« – »You smoke hashish?« – mit einem einfachen »nein, danke« ist es natürlich nicht getan. Taktik: Die kleinen Straßen nutzen, die großen meiden.


Das Reisetagebuch, aus dem ich das meiste hier abschreibe. Insgesamt sind fast 40 dicht beschriebene Seiten zusammen gekommen.

In einem Restaurant essen wir fürstliche Falafel – doch auch der Preis stellt sich schließlich als fürstlich heraus: Gibt's wenig Touris, muss man die wenigen umso mehr beackern.

Bei Aswan ist der Nil nicht mehr wirklich befestigt, und führt auch relativ wenig Wasser. Außerhalb der Stadt gibt es einen Brücke über den High Dam, innerhalb der Stadt setzt man mit einer kleinen Fähre über.


Und obwohl das Konsulat schon zu hat, morgen Freitag ist – für die Moslems so etwas wie für Christen der Sonntag – und wir somit erst am Sonntag unsere Visumspläne weiter verfolgen können, gibt es doch definitiv Hoffnung:

Ich sitze noch immer auf dem Bordstein vor der Moschee. Rafat kommt vorbei und fragt, ob ich Hilfe brauche. Ich verneine und unterhalte mich mit ihm. Morgen leitet er das 12-Uhr-Gebet in dieser Moschee. Der sudanesische Konsul betet auch in dieser Moschee und Rafat, der acht Semester Germanistik in Kairo studiert hat und entsprechend gut Deutsch spricht, erklärt, dass er den Konsul gut kennt und bei Bedarf ein gutes Wort für uns einlegen wird. Er gibt mir seine Telefonnummer. Wie immer gilt: Warte ab, und es wird etwas passieren. –

Also hatten wir zunächst zwei Tage Zeit, um Aswan zu erkunden. Erst mal die nähere Umgebung:

2. März 2012

Gestern war ich, mit Wörterbuch und Arabisch-Lehrbuch bewaffnet, in den Norden der Stadt gegangen. Am Schienenübergang saß ich auf einer Mauer in der Sonne und habe mir ein paar neue Phrasen zusammengebastelt. Nach einer Weile kamen ein paar Kinder an, mit denen ich mich unterhielt. Wie immer gilt: Kinder sind die besten Sprachlehrer, denn sie verstehen meist keine englischen Wörter und gestikulieren und schauspielern so lange, bis man ihre Zweiwortsätze verstanden hat. In diesem Fall lief es darauf hinaus, dass ich ihnen ein deutsches Lied vorsingen sollte – »Auf der Mauer, auf der Lauer« – woraufhin sie mir nubische Lieder vorgesungen haben. [...]

Aswan erstreckt sich im wesentlichen in Nord-Süd-Richtung entlang des Nil. Unser Hotel Tiba (طيبة) – die Budget-Option, mit runtergehandelten Zimmerpreis, dafür aber auch mit einem Spülkasten der überläuft, wenn man den Hahn nicht rechtzeitig zudreht, und einem 30cm zu kurzen Duschvorhang – unser Hotel liegt auf der östlichen Seite des Nil, genau wie der Bahnhof und der riesige Touristenmarks und überhaupt die ganze Stadt. Aber diese Seite ist wiederum zweigeteilt, wie wir heute erfahren sollten, und zwar durch die von Nord nach Süd verlaufenden Bahnschienen.

Wir wollten die hinter den Scheinen liegenden Siedlungen, die sich bis in die angrenzenden Hügel erstrecken, erkunden. Wir waren kaum über die Überführung und um die nächste Hausecke gegangen, als uns ein Mann hinterherrief, wo wir denn hingingen. Zehn Minuten lang versuchten wir ihm zu erklären, dass wir nur ein wenig herumlaufen wollten; er aber bestand darauf, dass wir dringend wieder auf die andere Seite der Schienen zurückkehren müssten, hier sei es zu gefährlich. In den Hügeln sei es sogar für ihn zu gefährlich: »No president, dangerous people!« – Wir hatten keine Wahl und mussten wieder umkehren.

Ein paar Kilometer weiter treffe ich die Kinder vom Vortag, die mich auch gerne in die Hügel führen wollen. Aber die Erwachsenen, die drumherum sitzen, sind strikt dagegen. Dann halt nicht.


Immer wieder gut: Ein Blick in den Reiseführer. Was gibt's zu sehen, was gibt's zu beachten?

Ein Blick von der Schienenüberführung in das »verbotene Viertel«, das sich bis in die Hügel erstreckt.

Die Kinder, die ich am Schienenübergang im Norden treffe.



Nach einem zweiteiligen Abendessen – erst Falafel, aber wir können und nur schwer verständlich machen und bekommen nicht genug, anschließend Koshari – gehe ich endlich (!) Haaare schneiden und bekomme eine Rasur: kein Caveman mehr! Während mein Friseur anfängt, schickt er einen Jungen los, der eine Minute später wieder kommt und ihm etwas sagt. Ich verstehe nicht viel, aber خَمسون جُنَيْه (fünfzig Pfund) verstehe ich deutlich. Mutmaßlich hat er also fragen lassen, was man einem Touristen abknöpfen kann. Als es ans Bezahlen geht sagt er: »150£E!« und ich gucke nur doof. Er zeigt auf den Rasierschaum – »Das kostet schließlich auch was!« – sagt aber dann, nachdem ich nur ein paar Zehner in der Tasche habe, großzügig: »50£E!« Immer noch zu viel, aber tragbar.

Irgendwie ist es schade, dass die meisten Geschichten und Anekdoten, die ich aus Ägypten aufschreibe, nur davon handeln, wie wir zu viel bezahlen. Das geht aber nicht nur uns so: Alle anderen Reisenden, die wir später im Sudan getroffen haben, berichten uns von dem gleichen komischen Gefühl, dass sie in Ägypten hatten, und dass sie sich dadurch nicht wirklich wohl fühlen konnten.

Es muss aber nicht immer so laufen, wie der Samstag zeigte:

3. März 2012

Heute war ein super Tag. Wir stehen erst so gegen Mittag auf, gehen raus und frühstücken (Falafel+Tee). Dann setzen wir mit der Fähre über, eine kleine, überdachte Barkasse mit Außenborder, deren vorderer Teil für Frauen reserviert ist. Es ist mächtig windig, wir müssen uns also warm einpacken, wenn wir in der Deckklasse nach Wadi Halfa übersetzen.

Westlich des Nil bei Aswan sind fast ausschließlich nubische Dörfer und Hügel. Touristische Infrastruktur ist so gut wie nicht vorhanden. Wir laufen einige Kilometer die einzige geteerte Straße am Nil entlang richtung Norden. Ein paar Kinder laufen uns hinterher. Links von uns erstreckt sich das Dorf ein wenig in die Hügel hinein, rechts werden Felder durch vom Nil abgezweigte Kanäle bewässert.

Wir nehmen eine Abzweigung nach link; die Straße führt in die Berge. Ein Mann erklärt uns, man könne bedenkenlos raufklettern – gut: anscheinend sind nicht alle Berge gefährlich. Der Blick von oben ist grandios: der Nil liegt wie ein blaues Band mit ausladenden grünen Rändern inmitten gelbbrauner Berge. Als wir wieder runterklettern wartet unten ein Junge, den wir vorher getroffen hatten. Er bietet uns Tee an, und Zigaretten. Wir sitzen sicher zehn Minuten in der Sonne und trinken Tee. Es passiert: nichts. Man hört: nichts. Herrlich.


Unwegsames Wüstengelände, aber keineswegs eintönig: Neben gelbtönen sieht man auch brauntöne; Geröllhaufen ragen auf und durchbrechen so die sonst langweilige Ebene.

Im Vordergrund die nubischen Dörfer, deren Häuser häufig himmelblau angestrichen sind (und dadurch interessanterweise innen angenehm kühl). Auf der anderen Nilseite Aswan.

Wofür diese Hochhausbatterien am Rande Aswans sind, konnten wir nicht herausfinden. Vielleicht aber für die ehemaligen Bauarbeiter des Aswan-Staudamms, denn das waren immerhin ca. 25.000.



Wir sind schon wieder auf dem Rückweg, als ein Junge, höchstens acht Jahre alt, uns hinterherruft, ob wir Tee bei ihm zu Hause trinken wollen. Wir folgen ihm. Die nubischen Häuser sind von außen meist hellblau angestrichen, aber hier sind auch der Innenhof und das von innen hellblau. [...] Im inneren des Hauses ist es angenehm kühl. Ein großes Bett, zwei große Bänke und ein Tisch mit Computer und Internetanschluss – mehr ist nicht vorhanden... Es wuseln lauter kleine und größere Kinder rum, und einige Erwachsene arbeiten oder sitzen rum. Jalal, der Vater des Jungen, ist schon relativ alt, und spricht gut Englisch. Er arbeitet seit 27 Jahren in der Wüste, teilweise nahe Abu Simbel und im Sudan; im wesentlichen kümmere er sich um Waisen und Halbwaisen, sagt er. Heute sei es gefährlich in der Wüste, aber er habe ein eigenes Auto und eine Waffe. Der Junge, der uns eingeladen hat, steht vom Essen auf und geht an den Computer, klickt behände durch ein paar Ordner und startet ein Spiel, in dem es darum geht, Bestellungen in einem amerikanischen Fastfood-Pizza-Restaurant zusammenzustellen und zu bearbeiten. Er scheint das Spiel ziemlich gut durchschaut zu haben. Bizarr.

Jalal teilt uns mit, die Kinder müssen zu den Feldern, und wir könnten gerne mitkommen. Ich muss nicht laufen, sondern darf elegant auf einem Esel runter zum Nil reiten. Nicht, dass ich das könnte, aber eines der Kinder haut dem Esel von Zeit zu Zeit auf das Hinterteil, so dass der auf dem richtigen Weg bleibt.



Im »Stall« kann man schon mal falschrum auf dem Esen sitzen ...

... und zu zweit zum Fluss reiten, das sieht immer noch viel galanter aus, ...

... als wenn 15 Jahre ältere Weiße das versuchen.



Aber eigentlich geht's dann doch ganz gut, ...

... und wir reiten in der Abendsonne durch die Felder.

Auch ein Poser-Foto darf nicht fehlen!


Nach dieser Episode kommen wir wieder bei Jalal zu Hause an, bedanken uns, tauschen Telefonnummern aus und sagen, dass wir morgen wieder kommen wollen. Dann machen wir uns wirklich auf den Weg.

Wir sind schon halb bei der Fähre, als uns zwei Jungen auf der Straße in ein Fußballspiel verwickeln, das schnell weitere Kinder anzieht. Auch ein paar Ältere, unter ihnen Mustafa, der auch gerade nach Aswan rüber will. Sein Bruder fährt im Auto vor, dessen Dach von innen eine Deutschlandflagge(!) ist.

Die beiden fahren uns über den von Soldaten und Panzern bedachten Aswan High Dam zurück zum Hotel. Ein ganzer Tag voller netter, unaufdringlicher Menschen! Letzter Satz im Tagebuch: »Morgen ist Visa-Showdown.«

Der Sudan ist das wohl eines der bürokratischsten Länder der Erde. Das kann man sich als Deutscher schlecht vorstellen, dass es noch bürokratischer zugeht als bei uns, aber das ist auch eine andere Art von Bürokratie: Missmutig dreinschauende Bearbeiter, die auf ihrem Schreibtisch Papiere von links nach rechts und wieder zurück schieben und alle nur einen Teil des Puzzles kennen: der eine hat die Unterschrift, der zweite den Stempel, der dritte kann den Antrag überhaupt erst mal durchschauen.

Nicht umsonst waren wir gut vorbereitet: Im Gepäck waren neben einigen Kopien unseres Passes und Impfausweises auch 20 Passbilder, denn für diverse Permissions braucht man plötzlich mehrere Passkopien und Passbilder, und dann ist es wirklich gut, die dabei zu haben. (So vermeidet man, eine weitere Stunde zu vergeuden, die sich schnell zu einem Tag ausdehnen kann, wenn mal kein Strom da ist und der Kopierer nicht funktioniert.)

Die erste Berührung mit der sudanesischen Bürokratie war eigentlich gar nicht so schlimm, nur etwas zeitaufwändig.

4. März 2012

Yes! Wir haben die Visa. So im Nachhinein betrachtet war's ziemlich unkompliziert. Fünf Stunden waren wir in den Mühlen der sudanesischen Bürokratie – die vermutlich Vorbild gestanden hat für die Asterix&Obelix-Folge über Passierschein A38 – doch nun können wir sogar noch die morgige Fähre nach Wadi Halfa bekommen.

Als wir morgens am Konsulat, dass nur 200 Meter von unserem Hotel entfernt liegt, ankommen, ist es noch geschlossen, aber andere warten bereits davor. Irgendwann geht die Tür im zweiten Stock eines regulären Wohnhauses auf. Wir fragen direkt im hübsch mit Kunstledercouches eingerichtetetn Büro des Passport Officer Mohammed nach, der uns nur misstrauisch fragt, was wir denn machen wollen... »Travel down the Nile to Khartoum...« Er sagt, wir sollen noch zehn Minuten warten. Er schließt die Tür. Ein Angestellter bringt Tee mit Milch für ihn. Durch die nun angelehnte Tür hört man, wie der Fernseher angeschaltet wird: erst mal frühstücken.

Fünf Nicht-Ägypter kommen: Wie wir später erfahren vier Deutsche, zwei von ihnen Jugendliche wie wir, zwei sind schon älter; und ein Japaner, den wir schon im Zug von Kairo gesehen haben. Wir warten – schweigend – eine geschlagene Stunde, bis sich etwas regt. Die beiden älteren Deutschen sitzen schon einige Tage hier fest und haben ihre Immigration Applications schon ausgefüllt dabei. Sie geben uns den wertvollen Tip, bei Sponsor einfach einen großen Strich zu machen. Bei Religion auch. Die beiden sind ziemlich schnell fertig.

Gegen 12 Uhr – wir haben in zweieinhalb Stunden noch nichts erreicht – bekommt der Japaner seine Application. Wir warten weiter, und schon bald bekommen wir vier – wir haben uns quasi zu einer kleinen Reisegruppe zusammengetan – auch Kopien eines Faxes von 2008: die Applications. Wir haben nur einen Stift. Der »Sachbearbeiter« schließt sein Büro zu und geht erst mal weg. Irgendwann kommt er zurück und nimmt die Blätter, an die zwei Passfotos und eine Kopie des Reisepasses getackert werden. Die Mühlen mahlen weiter.

Wir sind nun guten Gewissens, dass wir die morgige Fähre noch schaffen werden. Irgendwann erhalten wir die Kopien und Pässe und dürfen wieder in das schicke Büro. Mohammed fragt uns ein paaar Sachen, blättert jede Seite der Pässe einzeln durch – um nach israelischen Stempeln zu suchen? – und macht ein paar Angaben auf den Anträgen. Dann schickt er uns in die Bezahlstube, wo wir erfreulicherweise nur US-$50 zahlen müssen. Wir gehen wieder ein Stockwerk hoch, und die Mühlen mahlen weiter. Gegen ein Uhr beginnt der Sachbearbeiter, unsere Namen in ein großes Buch einzutragen, das er vorher mit Hilfe eines zweiten Buches als Lineal mit Linien versehen hat. Dann fragt er, warum wir keinen Sponsor eingetragen haben – ich erkläre ihm, dass wir nur reisen und in Hotels wohnen werden, zeige mein Rückflugticket und eine Liste von Hotels, die wir pro forma beim Frühstück zusammengestellt hatten. Er stellt sich damit zufrieden, dass ich das Sali-Hotel eintrage, am Souq al-arabi. Ich muss nicht mal Khartoum dazu schreiben.

Schließlich holt er Visaaufkleber aus seiner Schublade, sowie eine ganze Batterie von Stempeln. Ein weiteres Mal gehen die Pässe zum »Boss«, der eine kunstvolle Unterschrift auf die Visa setzt. Dann sind wir durch! Es ist nach zwei Uhr. Den Besuch im Dorf müssen wir absagen, der Fährschalter hat bereits geschlossen, so dass wir Tickets morgen direkt vor der Abfahrt kaufen müssen.

Am Geldautomaten hole ich Geld mit der Mastercard. Zido versucht es im Laufe einer Stunde an sicherlich einem Dutzend Automaten – ohne Erfolg. Noch können wir Geld drucken, aber ab morgen nicht mehr.

Aufgrund von Handelsembargos gibt es nämlich keine Geldautomaten im Sudan, an denen man internationale Kreditkarten wie Visa-, Master- oder AmEx-Karten einsetzen kann. Wir haben jeweils die Reisekasse für einen Monat plus Eventualitäten in US-$ dabei, immerhin $1.100. Wenn das geklaut wird, sind wir mehr oder weniger aufgeschmissen.


Trophäensammlung: Mit diesem Visum, dass notabene als Sponsor »D-EMB« eingetragen hat, ...

... können wir zum Fähranleger, Karten kaufen und dann die kleine Fähre hinten links besteigen.

Allerdings fährt die nicht vor dem Abend ab, so dass wir es uns an der Steuerbordreling gemütlich machen.


Am Abend nach dem Visumserfolg treffen wir uns mit Max und Tim, den beiden Deutschen, die wir im Konsulat kennen gelernt hatten, und trinken das zweite und letzte Mal auf der gesamten Reise Bier. Morgens treffen wir uns am Bahnhof und teilen ein Taxi zum Fährschalter.

Das Schiff fährt zwar erst abends zwischen 16 und 18 Uhr los, und doch ist es richtig, so früh [9 Uhr] da zu sein: Alleine, ein Ticket zu kaufen dauert so seine zwei Stunden; wir müssen warten bis »Mr. Selah« kommt, der anscheinend als einziger mit Ausländern umgehen kann, zumindest was Visumskontrolle angeht. Die im Reiseführer angegebene »Deckklasse« existiert nicht, unser Ticket kostet 323£E und hat eine Essensmarke inklusive. Das Ticket wird diverse Male gestempelt. Noch außerhalb des Hafens wechseln wir Geld in Sudanesische Pfund (SDG), zu einem Kurs, der eigentlich zu gut ist, um wahr zu sein.

Die Ausreise besteht zunächst aus einer Gepäckkontrolle mit Metalldetektor. Das gesamte Gepäck wird durch einen einzigen Scanner geschoben – bei uns nur die Rucksäcke, aber andere Leute haben Haus und Hof dabei, zehn, manchmal zwanzig schwere Gepäckstücke oder als Gepäck verpackte Handelsware. Der Metalldetektor piept bei mir, der Officer durchsucht mich, findet aber merkwürdigerweise nicht mein Taschenmesser. Wieauchimmer.

Das Innere des Schiffes ist eine Kampfzone sondergleichen: Es wird gedrängelt, geschubst und aufgeregt geschrien – wohlgemerkt haben alle Leute schweres Gepäck dabei. Irgendwie schaffen wir es und schlagen uns auf die Steuerbordseite durch, in einen ca. 80cm breiten Gang zwischen Küche und Reling. Das wird die nächsten Stunden unser Zuhause. Es ist noch nicht einmal 12 Uhr, also noch ca. sechs Stunden bis zur Abfahrt.

Warum das Schiff erst nachmittags fährt, wenn schon Stunden vorher alle Leute an Bord sind? – Um das Schiff zu beladen! Wo es zunächst noch recht geräumig war, tragen nun Träger riesige, klobige Pakete an uns vorbei, alle paar Minuten eines. Befehligt werden sie von einem bulligen, dicken Typen, der mit der Zeit ziemlich nervt. Er fordert uns auf, auf das Oberdeck umzuziehen, das aber voll ist. »Wenn es so viel Platz da oben gibt, dann lager doch dein Gepäck dort!« – Nach und nach werden wir zusammengedrängt, bis wir vier noch ca. 3m² Platz haben, den für das Gepäck eingerechnet.

Auf dem gesamten Schiff liegen in jedem erdenklichen Winkel Leute, essen, unterhalten sich und rauchen. Unter Deck, auf dem Deck, auf dem Boden, auf dem Gepäck. Um 16:30 Uhr fährt die Fähre schließlich los.


Die Steuerbordseite des Schiffes: wohlgemerkt, bevor sie vollgepackt wurde. Was wir nicht wussten: Das Schiff legt mit der Steuerbordseite an im Sudan, daher ist der Platz begehrt.

Am Anfang war's noch entspannt neben Satellitenschüsseln (an der Wand) und Fernbedienungen (in der kreuzverknoteten Tasche) zu liegen. Aber alle Paar Minuten kamen neue Gepäckstücke an.

Man hockt denn doch recht nah aufeinander und lernt sich kennen. Nur die Leute, die von oben unachtsam runteraschen sind etwas unangenehm.



Das Ufer des Sees ist eintönig und nicht bewachsen. Nach Sonnenuntergang wird es schnell kalt, ...

... so dass wir das Gepäck großzügig umräumen und zu schlafen versuchen.

Obgleich es gefährlich aussieht und extrem kalt ist, geht das auch ganz gut.



Im ersten Morgenlicht sehen wir den beeindruckenden Abu-Simbel-Tempel rechts vorbeiziehen.

Die Steuerbordseite wird gebraucht, so dass wir auf das inzwischen schon wieder etwas leerere Oberdeck umziehen, ...

... wo Deluxe-Plätze unter dem Rettungsboot die Stunde nach Ankunft in Wadi Halfa, während der aber niemand das Schiff verlassen darf, erträglich machen.


Abgesehen davon, dass so eine Schiffsreise abwechslungsreich und interessant ist, ist es auch die einzige Möglichkeit, aus dem Norden in den Sudan einzureisen. Zwar teilen sich Ägypten und der Sudan ca. 1.500 Kilometer komplett gerade Landesgrenze (die dem 22. Breitengrad Nord entspricht), und es gibt sogar eine Straße, die von Abu Simbel in den Sudan führt; allerdings ist diese Straße mit Steinen blockiert und unpassierbar gemacht – Auslöser dafür ist vermutlich der andauernde Disput um das Halaib-Dreieck, ein Stückchen Wüste von der Größe Sachsen-Anhalts auf das beide Staaten Ansprüche erheben, und vor dessen Küste der Sudan Anfang der Neunziger einer kanadischen Firma Ölbohrrechte einräumte, was dem Konflikt eine zusätzliche wirtschaftliche Dimension verlieh.

Noch mal anders ausgedrückt: Der gesamte Grenzverkehr zwischen dem Sudan und Nordafrika beschränkt sich auf ein kleines Schiff, das einmal die Woche hin und wieder zurück fährt. Zusätzlich gibt es noch ein Frachtschiff.

Wadi Halfa

Nachdem wir aufgestanden sind, die Schlafsäcke verstaut haben und auf das nun etwas leerere Oberdeck umgezogen sind, geht es weiter mit den sudanesischen Formalitäten.

Wir werden in eine der 1.-Klasse-Kabinen gebeten, wo einer der sudanesischen Officers, der schon im Konsulat in Aswan herum lief, einen Schreibtisch hat und so seine Kabine in ein Büro verwandelt hat. Die folgenden Stunden werden diverse Namen ausgerufen von Ägyptern, die sich noch nicht gemeldet haben. Wir halten plötzlich mitten auf dem See an – vermutlich die sudanesische Grenze – bis alle registriert sind. Irgendwann legen wir in Wadi Halfa an. Eine Reisegruppe von Ägypterinnen steigt aus, der Rest bleibt drin. Wir werden wieder in ein improvisiertes Büro gebeten, diesmal der Speisesaal der 1. Klasse, mit Ägypten-Wimpeln auf dem Tisch. Noch einmal müssen wir angeben, wo wir herkommen, wo wir hinwollen, Passnummern etc. – die Durchschrift bekommen wir mit, das ist unsere Travel Permit. Dann dürfen wir von Bord.

Der Aussteig ist das reinste Irrenhaus. Anscheinend suchen die sudanesischen Militärs einen der Passagiere, der diverse Male aufgerufen wurde. Der enge Ausstiegsraum ist vollgedrängt mit Leuten, die große Gepäckstücke dabei haben. Alle ziehen und schieben in verschiedene Richtungen. Ich bin kurz vor dem Ausgang, und eine Reihe vor mir drängelt ein Typ ziemlich. Einer der Militärs haut ihm zwei Backpfeifen, nutzt die Verwirrung des Dränglers und nimmt ihm seinen Pass aus der brusttasche. Es folgt ein Hin- und Herschreien, ein paar weitere Backpfeifen und dann dar er durch – mit Pass. Ein Offizieller nimmt mit den grünen Durchschlag des Einreiseformulars aus der Hand und ich bin endlich frei.

Wir laufen einen halben Kilometer durch die Mittagshitze – in Wadi Halfa ist es schon ganz schön warm – zur Gepäckkontrolle. Diese ist aber nicht so schön modern wie in Aswan, statt dessen machen ein paar Offizielle das Gepäck auf, gucken halbherzig rein und kleben einen roten Sticker drauf. An der Ausgangstür malt ein weiterer Offizieller einen blauen Kringel drauf.

Wir warten eine halbe Stunde und fahren dann in einem Auto, dem alles fehlt, was man sonst so kennt – Statt Schlüsseln schauen nur ein paar Kabel unter dem Lenkrad hervor – die vier Kilometer rein nach Wadi Halfa.


Blick aus der Ferne auf die Anlegestelle in Wadi Halfa, die nicht viel mehr als ein paar Paletten auf einem Betonpier ist.

Das erste sudanesische Auto, in das wir einsteigen. Es sieht so aus, als ob die Briten das in den Sechzigern einfach dagelassen hätten.

Ob sich in diesem improvisierten Tank Benzin, Kühlwasser oder etwas anderes wichtiges befindet, lässt sich schwer sagen.


So eine Stadt wie Wadi Halfa hat ja nicht so sehr viel zu bieten. Landwirtschafts- und Fischfangprojekte sind gescheitert, und im wesentlichen lebt die Stadt vom Gütertransport und Handel, und natürlich von den Reisenden. Umso erstaunlicher, dass es nicht mal ein billiges Bett zu ergattern gibt, denn alle sind schon belegt.

Wir wechseln Geld, zu einem noch viel unglaublicheren Kurs als in Aswan. Während Exchange Bureaus angeben, ein US-Dollar sei 2,7 SDG wert, bekommen wir in Aswan 4 SDG für den Dollar, in Wadi Halfa schon 4,8 SDG, und in Khartoum liegt der Kurs teilweise bei über 5 SDG, also das doppelte dessen, was man in der Bank bekommt. – Wie das überhaupt sein kann ist mir nach wie vor schleierhaft, und auf dem Rückflug traf ich eine Amerikanerin, die seit 25 Jahren in den Sudan reist und die genau wie alle Sudanesen, die ich gefragt habe, sagte: »Keine Ahnung, ist halt so.«

Das Geschäftsmodell Nimm $100, tausch es in 500 SDG um und kauf dafür $200 geht allerdings nicht auf, denn die Banken und Exchange Bureaus verkaufen schlicht und einfach keine Dollars. Gibt es nicht. Daher ist die einzige Möglichkeit für den normalen Mann, an ausländisches Geld zu kommen, auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, und daher unterscheiden sich die Preise so gravierend. Für uns als Reisende mit Dollars war das natürlich gut, denn wir hatten nie Probleme, die Dollars zu einem extrem guten Kurs getauscht zu bekommen. Dass soetwas auf Dauer nicht wirtschaftlich tragbar ist, sollte aber eigentlich auch klar sein.

Leider haben die beiden älteren Deutschen, die wir im Konsulat trafen, schlechte Erfahrungen mit der Fährüberfahrt gemacht:

Wir vier – Zido, Max & Tim und ich – treffen die beiden älteren Deutschen wieder. Dem einen wurden auf der Fahrt seine beiden Spiegelreflexkameras, sein Handy und seine Lesebrille, die er alle zusammen in einem Beutel hatte, geklaut. Von der Gepäckkontrolle hatten sie sich natürlich erhofft, dass die Kamera gefunden würde, aber bei der schieren Masse an Gepäck – teilweise zugebundene Koffer und Kisten voller Hemden und Fernbedienungen; Sat-Receiver stehen augenscheinlich auch hoch im Kurs – finden sie natürlich nichts.

Wir vier kümmern uns erst mal um den nächsten Zirkus, der ansteht: Registration in Wadi Halfa. (Das ist seit Aswan das siebte Mal, dass wir mit Name, Passnummer etc. erfasst werden.) Wir benötigen eine Passkopie (von der ID-Seite und dem sud. Visum) und ein Passbild. Ein Polizist heftet dies zusammen mit einem Formular in eine Mappe. Dann füllen wir alles aus. Dann Stempel. Dann über den Hof zum Boss. Unterschrift. Bezahlen ein Zimmer weiter, $45 oder 183 SDG. Wieder zum Anfang, ein neuer Aufkleber im Pass, »Central Registration Khartoum«. Dann noch einmal zum Boss für einen Stempel, und schließlich die Mappe am Anfang abgeben: Geschafft!

Schon an Bord der Fähre hatten wir einen Stempel auf das Visum bekommen, der sagte: Registration during three days. Ohne diese Registration darf man in kein Hotel einchecken, nicht durch die Gegend reisen, und wenn man das nicht am ersten Tag erledigt, dann wird's von Tag zu Tag teurer. Was passiert, wenn man das nicht innerhalb der drei Tage schafft – das wird sicherlich ein paar Straftage in Behördenfluren nach sich ziehen.

Die älteren Deutschen meinen, dass sie auch ohne Registration weiterreisen können, und wollten nicht auf uns hören. (Man kann ohne gültige Registration allerdings nicht ausreisen.) Überhaupt sind sie ein bisschen schlecht vorbereitet, und wussten nicht, dass Kreditkarten im Sudan nicht funktionieren. »Wir fahren einfach in die Hauptstadt, da wird es Automaten geben!« Denkste.

Wawa

Mangels Betten in Wadi Halfa falten wir die Karte auf, und suchen zufällig ein Dorf aus, das ca. 180 Kilometer von Wadi Halfa entfernt liegt. »Wawa, das klingt doch gut!«, denken wir uns. Spontan kommen die beiden älteren Deutschen mit, so dass wir zu sechst sind.

Nach Einbruch der Dunkelheit sind wir da, und fragen bei irgendeinem Haus, wo es ein Funduq, ein Hotel gebe. Der eine führt uns zu einem geräumigen Compound. Niemand spricht mehr als ein Wort Englisch. Zu Essen gibt es nur einen Cake, dazu einen Tee. Mit Händen und Füßen macht mir Basil klar, dass das Licht bzw. der gesamte Strom im Dorf um 22 Uhr abgeschaltet wird; das betrifft auch den Sendemast, so dass ein paar Minuten später auch kein Handy-Netz mehr zu haben ist. Wir gehen schlafen.

Morgens um sieben ist es kalt, aber mit Tuch um den Kopf in der Sonne geht es. Ich frühstücke mit den beiden Alten, und wasche dann Wäsche, die innerhalb von wenigen Stunden trocknet. Das Wasser ist dunkelgrau.

Die Alten brechen auf. Wohin, wissen sie nicht, und wann und wo sie sich registrieren werden auch nicht. Wird sicherlich spannend.


Morgenplausch mit Wolfgang. Morgens in Wawa ist es zwar kalt, aber in der Sonne geht es einigermaßen.

Kaum ist die Wäsche gewaschen, kann man sie wieder abhängen – trocken und wieder gut riechend.

Die eine Hälfte des Sechsbettzimmers. Die Betten sind zusammengeschweist mit einer Liegefläche aus verwebten Nylon-Stricken.



Weithin zu erkennen: Der Handymast. Aber entweder sendet er unser Netz (MTN) nicht aus, oder er ist nur die drei Stunden abends, wo es Strom gibt in Betrieb.

Denn der Handyempfang ist spärlich – was wir später nie wieder erlebt haben, selbst mitten in der Wüste nicht – so dass man sich schon etwas strecken muss, um eine SMS zu versenden.

Am Fuß des Handymastes: Ein Viehstall. Davor hat jemand Lehmziegel zum Trocknen ausgelegt. Die halben Palmstämme im Hintergrund waren vermutlich der vorige Viehstall, bevor es Maschendrahtzaun gab.



Der Compound ist groß, relativ neu und schön angestrichen. Ob eigentlich viele Gäste nach Wawa kommen wissen wir nicht, ich vermute es aber nicht. Im Reiseführer findet Wawa keine Erwähnung.

Direkt vor der Tür ist ein kleiner Laden, bei dem man in den Abendstunden auch sein Handy aufladen kann. Es gibt weder Kerzen noch Trinkwasser, dafür Wrestling-Sammelkarten.

Die Häuser in der Umgebung sehen ähnlich, aber nicht so groß und gepflegt aus. Leute sieht man fast nie draußen. Es gibt kein Restaurant oder einen Teeladen, wo man sich versammelt.



In gemütlicher Hellblau-Dunkelgelb-Optik kommt unsere Unterkunft daher. Auch gibt es Plastikstühle und einen Tisch, was wir die folgenden Wochen fast nie haben sollten. Und es ist sauber.

Vielleicht ist die Innenhofgestaltung etwas Beton-lastig, aber darüber lässt sich hinweg sehen ob der schönen Vegetation.

Zir, unten konisch zulaufende poröse Tonkrüge, halten das Wasser durch Verdunstungskälte ziemlich kalt. Unten drin steht ein Plastikeimer mit Hühnereiern, in den kaltes Wasser tropft: ein natürlicher Kühlschrank.


Am nächsten Morgen gibt es immer noch nichts zu essen. Da die Kommunikation zweischen Basil und mir einfach nicht wirklich Früchte trägt, ruft er einen Kumpel an, der Englisch spricht. Abwechselnd sprechen wir ins Telefon, und der abwesende Dritte agiert als Dolmetscher. Schließlich arbeiten wir einen Plan aus:

Ich fahre mit Basil in einem kleinen Boot über den Nil, um Brot zu kaufen – im Dorf gibt es anscheinend nichts zu Essen. Runter an den Fluss laufen wir durch üppige Felder und Palmhaine. Den Benzintank holt er aus der verschlossenen Sitzbank, schließt ihn an den Außenborder an und pumpt ein bisschen.

Drüben angekommen sind wir erst mal bei einer kleinen Familie zu Gast: Die Mutter mit ihren fünf Kindern. Es gibt Wasser und Tee. Irgendwann gehen wir weiter. In einer kleinen Strohhütte liegen zwei Männer auf Betten. Wir trinken Tee. Weiter, und ich bekomme Brot mit Bohnen angeboten und esse ein wenig. Dann kaufe ich 40 Brote für 10 SGD, dazu noch ein paar Konservendosen Erbsen. Eine Frau füllt uns etwas gut gewürzte Soße mit Bohnen in eine Plastiktüte. Wir fahren zurück.

Max & Tim haben Linsen und passierte Tomaten gekauft. Wir essen so eine Art Linseneintopf mit einer Menge Brot. Es passiert nichts. Überall sind winzige Fliegen.


Schon der Blick aus der Tür lässt erahnen, dass ein paar hundert Meter weiter Vegetation sein muss.

Sobald man über einen kleinen, vermüllten Sandwall klettert, erstrecken sich die Felder hunderte Meter weit in Richtung Nil, ...

... und in Nord-Süd-Richtung entlang des Nil kann man ein Ende nicht erkennen.



Angebaut wird viel Getreide, Bohnen, Sorghum und natürlich Dattelpalmen. Der Boden ist ohnehin relativ wasserhaltig durch den Fluss, doch extra angelegte Kanäle bewässern die Felder zusätzlich.

Der Weg sieht einfach aus, ist es aber nicht: Millionen von kleinen Fliegen, die die Dattelpalmen bestäuben, machen die Übung zu einem Spießrutenlauf.

Einzig komplett vermummt können wir es zum Boot schaffen. Basil hat ein Stück Mückennetz in seinem Turban, das er bei dem Gang durch die Felder vors Gesicht bindet.



Die Viecher fliegen besonders gerne in Mund, Nase und Ohren, so dass es wirklich unangenehm ist. Trotzdem mal posen. Der Schlauch im Hintergrund ...

... führt zu einer Pumpe, die Teile des Dorfes mit Fließend-Nilwasser versorgt. (Man beachte den gelben Benzintank, der im Gebüsch dahinter aufgehängt ist.)

Die Küche sieht zwar nett aus, ist aber ziemlich rußig und dreckig, so dass das Kochen nur begrenzt Spaß bringt.


Wawa ist zwar interessant, vor allem im Kontrast zu Ägypten vorher, aber es gibt nicht wirklich etwas zu tun. Auf nicht mal einer halben Seite findet Platz, was an einem ganzen Tag passiert:

8. März 2012

Ein weiterer Tag in Wawa. Auf einem Truck, der durchs Dorf kam, haben wir allerlei Gemüse gekauft sowie Eier. Nach dem Linsen-Brot-Essen haben Max und ich den beiden anderen Doppelkopf beigebracht, was wir bis 12 Uhr nachts gespielt haben.

Heute: früh aufstehen, Spaziergang. Tee. Tee. Lesen. Tee. Dann ein improvisiertes Rührei mit Rest-Brot. Dann Tee.

Wegen des starken Windes sind kaum kleine Fliegetierchen da. Abends, als Zido und ich Bratkartoffeln machen, sind sie da: Auf dem Kopf fühlt es sich wie Regen an, so viele sind es. Sie fliegen in jede unbedeckte Körperöffnung, so dass nur eines hilft: Mund, Nase und Ohren mit einem Tuch bedecken.

Es passiert nichts. Morgen fahren wir nach Dongola.

Dongola

Basil organisiert uns einen Minibus, der an Wawa vorbei fahren wird und bis nach Dongola fährt. Der kommt zwar drei Stunden nach der angekündigten Zeit, aber die Strecke ist ja nicht wirklich lang. Leider ist es nur ein typischer Minibus, daher unbequem und stickig die ganze Fahrt über.

Die Landschaft draußen ist gleichzeitig eintönig und abwechslungsreich. Auf Geröllhügel folgen Hügel, die halb aus Schiefer-artigen Platten bestehen, dann kommen große, komplett flache Stein- und Sandwüsten, in denen alle paar Dutzend Meter ein verdorrter Busch wächst. In der Nähe des Nil sieht man bisweilen sogar das typische Sandstrand-Palmen-Bild.


Aus dem Fenster zu blicken ist meist eher langweilig, es sei denn, man mag Gelb-Braun. Auch wenn man denkt, dass man hier nicht wohnen kann, ...

... erscheinen doch teilweise an den unwahrscheinlichsten Orten Häuser am Straßenrand. Ob sie einen Brunnen haben oder das Wasser mit Lastern vom Nil herbringen, weiß ich nicht – vermutlich letzteres.

Im Vergleich dazu sehen selbst die kargen Plätze in Wawa wie grüne Oasen aus, oder nicht?



Fünfzig Kilometer vor Dongola sehen wir vermehrt Leute am Fuß von Sandhügeln nach Gold graben. über 10.000 Leute graben dort in der Wüste nach Gold, meist nur bekleidet mit einer kurzen Hose, T-Shirt und einem Tuch auf dem Kopf. Die Arbeit muss knochenhart sein, aber die Leute machen das freiwillig: Sie arbeiten meist auf eigene Faust, und die sudanesische Regierung stellt keine Besitzansprüche (im Gegensatz beispielsweise zum Diamantensperrgebiet in Namibia). – Die Folgen davon sind, dass in und um Dongola ständiger Arbeitskräftemangel ist, weil die jungen Leute alle ihr Glück im Goldrausch finden wollen. Einzelne werden extrem reich.

Es ist Freitag und kurz nach zwölf, als wir ankommen. Fast alle Läden sind zu, und die Letzten machen sich auf den Weg zum Freitagsgebet. Wir haben Hunger, finden aber leider nur einen Fruchtstand (der gleichzeitig eine Fleischerei ist).

Zido und ich starten einen kleinen Spaziergang, mitten in der Mittagshitze. Die Lufttemperatur liegt irgendwo oberhalb der 35°C, gleichzeitig ist es extrem trocken. Wir schwitzen nicht, schaffen aber nur einen Kilometer um den Block. Zum Glück ist es 14 Uhr und die ersten Läden machen auf – erst mal Soda trinken. Wir gehen zurück und spielen Doppelkopf, bis wir fast vor Hunger eingehen.

Aber auch 18 Uhr ist nicht die perfekte Zeit, um etwas zu Essen zu finden: wir müssen uns mit Falafel im Brot – trocken, d.h. ohne Gemüse oder Soße – zufrieden geben. Auf dem Markt kauft Zido eine Galabija.

Jetzt kommt er gerade raus an den Tisch, wo ich Kaffee trinke. Nebenan ist eine Open-Air-Moschee, also: ein paar Matten, dazu eine Reihe von 20 Kannen mit Wasser zum Waschen, und natürlich der obligatorische Lautsprecher. Die, die zu spät kommen, waschen sich ganz in Ruhe, bis sie sich in die Betenden einreihen. »الله أكبر« ertönt es ein paar Minuten lang.

Wir machen nicht wirklich viel in Dongola. Ich bin etwas verschnupft und habe Kopfschmerzen, und wir genießen es einfach, am Straßenrand was essen zu können, ohne dafür über den Nil schippern und zwei Stunden kochen zu müssen.

Eine Expedition auf die andere Nilseite, wo es wohl interessante Ruinen gibt, müssen wir abbrechen: Es gibt noch viel, viel mehr und agressivere Fliegeviecher als in Wawa. Wir schaffen es nicht mal bis zur Nilbrücke, die erst vor ein paar Monaten von den Chinesen fertiggestellt wurde.

Gestern abend trafen wir noch einen interessanten Mann: Er hat Animal Reproduction und Veterinärmedizin studiert und arbeitet im sudanesischen Landwirtschaftsministerium. Er erzählt, dass Dongola das Zentrum des Kamelhandels mit Ägypten ist, und sogar Rennkamele würden für Unsummen von reichen Arabern gekauft ($500.000).

Dongola hat aber nicht wirklich etwas zu bieten, und den Nil sehen wir auch nicht wegen der Viecher. Ich lasse meine Brille in einem Brillenladen reparieren – einer der Stege hatte sich in Wawa gelöst, und ich hatte ihn nur notdürftig mit Plastik-Fasern festgebunden.

Dann machen wir uns auf den Weg nach Karima, über eine neue geteerte Straße, die in der Karte von 2008 nicht eingezeichnet ist. Überhaupt führen viele unserer Reisen über Straßen und Brücken, die auf der Karte nicht verzeichnet sind, und im Reiseführer von 2010 als under construction angegeben sind.

Der Grund für die modernen Straßen und Brücken ist die Entwicklungshilfe der Chinesen: Alles an nennenswerter Infrastruktur der letzten Jahre wurde komplett von chinesischen Konzernen geplant und gebaut. Die Chinesen investieren deshalb so sehr in den Sudan, weil sie das Öl brauchen: Die China National Petroleum Corporation betreibt die Greater Nile Oil Pipeline, die von den Ölfeldern im Norden des heutigen Südsudan bis in den Nordosten, in die Hafenstadt Port Sudan am Roten Meer, führt. Von dort wird das Öl, das 70-90% der sudanesischen Exporte ausmacht, verschifft: Ein Großteil nach China und Japan, aber auch Südkorea, Indonesien und Indien sind Abnehmer.

Insofern hat China ein berechtigtes Interesse daran, dass der Sudan und der Südsudan die Nachwehen der Abspaltung friedlich überwinden: Denn das Öl kommt im wesentlichen aus dem Südsudan, dem aber komplett die Infrastruktur fehlt, das Öl zu raffinieren oder zu exportieren, zumal sie keinen Hafen haben und somit das Öl durch mindestens ein Nachbarland durchleiten müssen.

Karima

Karima – übersetzt Tochter oder auch edel, großzügig – ist warm. Schon auf der Fahrt vom Busbahnhof zu einem Hotel sind die Böen des Fahrtwindes noch heißer als es eigentlich schon so ist. Die Temperaturen liegen um die 45°C. Das ist wirklich warm.

Weil ich immer noch ein bisschen krank bin, bleiben wir ein paar Tage in Karima, wo eigentlich nicht so viel geht. Die Leute sitzen einfach nur so rum, es gibt wirklich gute Falafel.

Überhaupt das Essen: Seit wir aus Wawa los sind, essen wir nur noch Falafel und Ful – rote, bittere Bohnen, weich und mehlig gekocht und dann zerstampft mit einem Schuss Öl, manchmal angepeppt mit Zwiebeln und Rucola – morgens, mittags und abends. Ab und zu mal ein hartgekochtes Ei dazu. Die Falafel schmecken meist lecker, aber die Beilagen sind wechselhaft: von nicht vorhanden bis ganz ordentlich, sogar mit Tomaten.


Während das Essen in Wawa noch eher kärglich war, gibt es in den Städten danach zumindest eines immer –

Leckeres Ful, d.h. zerkochte und zerstampfte Kidney-Bohnen mit einem Schuss Öl, die man mit Weißbrot zu sich nimmt.

Diese Version bei Tageslicht und mit Tomaten und Zwiebeln drin sieht vielleicht etwas appetitlicher aus.



Zwar haben wir ein Zimmer zu viert, aber es ist abends so warm, dass ich die ganze Zeit über draußen schlafe. – In den Morgenstunden tut ein Schlafsack allerdings Not.

Im gesamten »Hotel« stehen weitere Betten mit experimenteller Federung, die sich on demand durch auflegen einer Matratze in einen Schlafplatz verwandeln lassen. Im Hintergrund: Waschbecken, Duschen und Toiletten.

Vor dem Hotel ist eine riesige Fläche, auf der abends Kinder Fußball spielen. Manchmal verlädt man hier offensichtlich auch große Tanks auf Lastwagen und bindet sie fachmännisch fest.



Gegen frühen Abend sind Zido und ich zum Nil spaziert, und dort war es sehr entspannt. Wichtige Voraussetzung dafür: Keine Fliegeviecher weit und breit! – Der Nil führt erstaunlich wenig Wasser. Der Boden ist hart und, typisch für ausgetrocknetes Land, aufgerissen und bröckelig. Im Nil türmt sich eine gewaltige Sandbank auf, die gut begrünt ist und auf der Kamele weiden. Der Nil fließt hier nach Süden, was etwas irritiert – Karima liegt quasi in der Mitte des »S«, das der Nil beschreibt.

Auf unserer Seite des Nil liegen, mitten im Gebüsch, schief und rostig, zwei Nil-Kreuzfahrtschiffe. Wie lange die schon nicht mehr in Benutzung sind, lässt sich schwer sagen, aber sicherlich ein paar Dutzend Jahre. Auf kleinen grasbewachsenen Inselchen, die halb im Wasser liegen, sitzen ein paar Angler. Plötzlich zieht's an der Rute, und zu zweit ziehen die beiden Angler einen ca. 60cm langen Wels(?) aus dem Wasser – der eine schmeißt sich dafür sogar versehentlich bäuchlings ins flache Wasser, sehr zur Erheiterung der Leute drumherum – und schmeißt den Fisch an Land, damit er erstickt. – Ist es nicht Halal, den Fisch tot zu hauen?, fragen wir uns.

Abends finden wir die erste Shisha-Bar, die wir im Sudan schon so lange gesucht haben.

Um zwei Unklarheiten auszuräumen: Die Kreuzfahrtschiffe liegen dort seit den frühen Neunziger Jahren, als die Nil-Schifffahrt – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr profitabel war. Anstatt die Schiffe weiterzuverkaufen oder einzumotten, hat man sie einfach am Ufer festgemacht. Mit dem Bau von weiteren Staudämmen ist der Nilpegel irgendwann so abgesunken, dass sie nun Dutzende Meter vom Wasser entfernt auf dem platten Land stehen. Niemand kümmert sich um die Schiffe. – Oh, und zweitens: Für Fisch gibt es keine islamische Schlachtungsvorschrift (Dhabihah). Das kann man machen, wie man will.


Der Weg runter zum Nil. Viel los ist hier nicht in den Ladenpassagen – jemand schenkt uns getrocknete Riesenhagebutten, die nach Lakritz schmecken und extrem schwer zu essen sind.

An der Ufermauer liegen ein paar Fischerboote. Noch sieht's nett und traditionell aus, aber sobald man über die Mauer steigt, ...

... befindet man sich in einem Mix aus Sträuchern und Plastikmüll, und im Hintergrund liegen irgendwie vergammelnde Kreuzfahrtdampfer rum.



Ein paar Familien müssen offensichtlich ihren Reichtum zur Schau stellen, indem sie ihre Kamele öffentlich und weithin sichtbar auf der Sandbank weiden lassen.

Der eingangs erwähnte brüchige Boden. Wenn es hier Schlangen gibt, dann kann man die noch viel schlechter erkennen als sonst.

Zwei Fischer nutzen die ordentliche Strömung und das flache Wasser aus, um mit einem langen Netz zu fischen.



Abendprogramm in Karima: Man sitzt auf den Hügeln, kaut Kerne und schaut den Anglern und Fischern zu. Manchmal wird man durch einen unbeabsichtigten Bauchklatscher des knienden Herren vorne rechts belohnt.

Aus einem anderen Blickwinkel taucht hinter dem ersten Dampfer ein zweiter auf.

Die heute noch aktiv verwendeten Schiffe sind allerdings zwei Nummern kleiner.


Aber es ist keinesfalls so, dass wir nur auf der faulen Haut rumliegen in Karima.

15. März 2012

Gestern war Action-Tag: Wir stehen schon kurz nach vier Uhr morgens auf und stiefeln los, den Berg Jabal Barkal – übersetzt heiliger Berg – erklettern. Wir brauchen nur ca. 15 Minuten, bis wir von der Teerstraße abbiegen können – und an Wachhunden, die laut bellen vorbei – über die sandige Ebene am Fuß des Berges ankommen. Der Berg ist heilig, aber nicht besonders hoch. Durch einen Mix aus Schiefersteinen und Sand klettern wir hoch, was nur ca. zehn Minuten dauert. Oben ist ein großes Plateau, und es ist sehr windig und kalt – was insofern ein Problem ist, als dass wir geschätzt hatten, dass die Sonne um 5:30 Uhr aufgeht, die Dämmerung aber erst gegen 7 Uhr beginnt, so dass wir fast zwei Stunden im Dunkel in vom Wind geschützten Stellen warten müssen. Zum ersten Mal fällt mir auf, dass man anhand der Mondsichel sehen kann, wo genau die Sonne aufgehen wird.

Als die Sonne dann aufgeht, werden wir mit einer grandiosen Aussicht belohnt: deutlich sieht man, wie der Nil sich durch die Wüste schlängelt, teilweise nur mit ein paar Metern begrüntem Rand, aber um Karima [und Marawi] herum erstrecken sich die Felder und Palmhaine hunderte Meter ins Land. Auch die Struktur eines alten Tempels, der entweder abgerissen oder nie zu Ende gebaut wurde, kann man gut erkennen.


Jebel Barkal aus der Ferne. Logischerweise klettert man auf der rechten Seite hoch, auch wenn es keinen wirklichen Weg gibt.

Lange vor Sonnenaufgang auf einem kalten Berg gibt's gar nicht so viel zu tun. Also: Musik hören.

Eingekuschelt in eine Ecke in einem Fels ist es gar nicht so kalt. Wie die beiden oben das in kurzer Hose im Wind aushalten, ist mir schleierhaft.



Für einen solchen Sonnenaufgang ist natürlich keine Anstrengung zu viel.

Von oben sind die Strukturen der Tempel klar erkennbar, ...

... nur dass sie halt ziemlich runtergekommen sind.



Panoramabild kurz nach Sonnenaufgang vom Jebel Barkal aus. Deutlich sieht man den Übergang, der so typisch ist: Zunächst Palmen und Bäume, später nur noch Felder; dann erst kommt die Stadt, meist eine große geteerte Straße parallel zum Nil – und dann beginnt ziemlich unvermittelt die Wüste.



Von oben erkennt man die Struktur besonders gut. Am nördlichen Rand sieht man den Jebel Barkal, in der Nordostecke sieht man Karima, im Süden, westlich der Felder, liegt Marawi.


Die ersten und einzigen Pyramiden, die wir auf dieser Reise sehen werden.

Sieht ein bisschen wie die Lange Anna aus, oder nicht?

Angry Stone is angry.



Endlich mal in Ruhe Fotos machen! Auf der Nordseite des Berges ist der Stein ziemlich rot.

Von oben erkennt man gut einen weit ausgedehnten Friedhof, ...

... und dass der Compound der Italiener ganz schön luxuriös ausgestattet ist.



Abends dann die zweite Action: Nachdem ich mit Zido ein paar Stunden am Nil rumgelegen habe, erklimmen wir einen der alten Nil-Dampfer. Das Schiff liegt schräg und arg rostig an Land [...]. Dadurch, dass das Deck schräg ist, hat jede Bewegung, besonders Gehen, etwas komisches, fast schwindelig wird einem. Wir klettern noch eine Weile rum und machen Fotos, bis jemand kommt und uns mit einem Hinweis auf die Uhrzeit (?!) bedeutet, runter zu gehen.


»Komm, lass uns zum Schiff gehen!«

Hochklettern ist nicht so ganz leicht, aber was soll's.

Auch auf einer schrägen, etwas rostigen Leiter macht Klettern Spaß.



Die ehemaligen Schlafkojen sind genauso entkernt und verstaubt ...

... wie ein Büro, das es an Bord gab.

Den Motorblock aus dem Maschinenraum wollte wohl niemand haben, der ist noch da.



Schräge Angelegenheit: Das ehemalige Sonnendeck.

Stehen geht noch, auch wenn's lustig aussieht.

Laufen hingegen verursacht Schwindelgefühl.


Unsere Vierer-Reisegruppe löst sich auf: Max & Tim fahren nach Atbara. Wir haben so viel Zeit, dass wir noch ein paar Tage in Karima bleiben, und von Atbara auch einen anderen Weg einschlagen werden.

Wir verbringen zwei Tage damit, mehr oder weniger rumzuliegen, es ist ja auch Freitag. Wo man auch schaut und fragt, in diesem Teil des Sudan scheint es keine Postkarten zu geben; wir gehen in einen Fotoladen und drucken statt dessen Fotos aus, die wir zusammen mit einem Brief verschicken.

Atbara

So eine Reise ist immer mit einigen Formalitäten verbunden. Zwar müssen wir meist nicht selbst zum Busbahnhof, sondern andere Leute organisieren uns telefonisch Plätze. Aber man muss sich bei so einer Reise darauf einstellen, dass der Pass ein halbes Dutzend Mal kontrolliert wird: Zunächst beim Ticketkauf, dann bei der ersten Polizeiabsperrung am Stadtrand, ab und zu auf Zwischen-Kontrollposten mitten in der Wüste, an großen Kreuzungen oder vor Brücken, und zumindest noch einmal, wenn man am Ziel-Busbahnhof angekommen ist.

Als der Bus eine halbe Stunde später voll und aufgetankt ist, geht's los. Unserer Fahrer ist komplett verrückt: mit Vorliebe fährt er auf der linken Spur – »Das Gras ist grüner auf der anderen Seite«? – oder auch gerne genau auf dem Mittelstreifen. Ganze zehn Minuten lang fährt er links neben einem anderen Minibus – als dieser zum Überholen eines weiteren Autos ansetzt, muss unser Fahrer über den Schotter links der Fahrbahn ausweichen, damit es nicht zu einem Unfall kommt.


Die »Raststätte« in der Mitte zwischen Karima und Atbara. Der Tee schmeckt eher wie Zuckerwasser. Die Männer beten, die Frauen suchen eine Toilette im flachen Umland.

Ein paar Schafe laufen rum. Was dieses Schaf gerade frisst, weiß ich nicht. Aber vielleicht hat es sich an den Sand gewöhnt? Das Umland bietet ja auch nicht viel mehr.

Ein Sandwirbel fegt über die Ebene, und trifft kurze Zeit später genau mit der Frau zusammen, die noch in vermeintlich sicherer Entfernung unterwegs ist.


Ist man dann in einer neuen Stadt, muss man sich zunächst dort registrieren, um überhaupt eine Hotel Permission zu erhalten. Dafür fährt man dann zu einem Polizeiposten, wo ein gelangweilter Polizist MBC Action im Satellitenfernsehen guckt, die Pässe und Travel-Permissions kontrolliert und dann – nachdem er die Namen fein-säuberlich in einem Buch vermerkt hat – die Erlaubnis, in einem Hotel zu übernachten, ausstellt. Damit marschiert man dann stolz zurück und darf offiziell Gast sein. In Atbara waren wir in einem so luxuriösen Hotel, dass ein Polizist abgestellt war, der einfach nur Passkopien brauchte und das dann selbst geregelt hat.

Atbara macht zunächst einen dreckigen, stinkigen Eindruck – aber es laufen überraschend viele, überraschend schöne Frauen herum! Das Essen schmeckt gut und ist mal was neues. Anfangs wissen wir nicht, in welches Hotel wir sollen und fragen herum, und ein Rickscha-Fahrer fährt uns zu einem etwas teureren Hotel [das im Reiseführer als »best option« angepriesen wird]. Ich schaue mir das Zimmer an, frage, was es kosten soll (130 SDG) und handle es mit der Bemerkung, wir suchen eigentlich nur ein Lokanda [simples Bett in simplem Hotel] auf spektakuläre 50 SDG runter (entspricht $10). Wir haben A/C, Kühlschrank, warmes Wasser und Satellitenfernsehen – es läuft Hertha vs. Bayern live auf Dubai Sports 2, danach Training Day und The Island. Luxus.

Weil wir schon vorher gehört und gelesen hatten, dass Atbara eigentlich nicht so interessant sei, wollten wir nur einen Tag dort bleiben.

18. März 2012

Wie viel doch davon abhängt, was für Leute man trifft! Zunächst war ich heute morgen um kurz nach neun bei der Post in Atbara, um meine Briefe aufzugeben – und wurde prompt eingeladen, mit den Postangestellten (zumindest den Männern) zu frühstücken: Ful.

Dann waren Zido und ich am Busbahnhof: Erst mal Tee trinken! Ein Auto fährt vorbei und jemand winkt uns zu; zwei Minuten später setzen sich die beiden – Hassan und Asim – zu uns. Sie können ganz gut Englisch und laden uns ein, ein bisschen durch die Stadt zu fahren. Zunächst kaufen wir Bustickets nach Port Sudan – in einem riesigen, neuen, nach Flughafen aussehenden Terminal – für gute 50 SGD.

Wir warten vor dem Terminal mit Hassan eine Weile auf Asim, der uns dann auf die westliche Seite der Schienen fährt, wo wir am Nil in einem Cafe sitzen. Dann wollen wir weiter, eine Shisha rauchen. Dort treffen wir Alex, einen Belgier, der an der Uni in Atbara Englisch lehrt.

Alex' Eltern arbeiten für die EU, und dadurch ist er schon viel rum gekommen. Er hat African Studies studiert, und wir unterhalten uns kurz auf Kiswahili, was er ziemlich gut spricht. Dann schlägt er vor, uns die Uni (bzw. die medizinische Fakultät) zu zeigen, und plötzlich sind wir in einem bunten Gewirr von Studenten, diverse sprechen uns an. Ich versuche mich ein bisschen im Tischtennis-Spiel, während Zido länger mit einer burkabekleideten Frau redet. – Nach dem tagelangen Nichtstun ist es eine komplett neue Erfahrung, wieder schnell und gehaltvoll in Englisch zu kommunizieren. (Beziehungsweise, überhaupt schnell zu kommunizieren, nicht die typischen komplett entschleunigten Gespräche.)

Meine Vokabel des Tages: »racial profiling« – ein Student aus Jerusalem (der Palästinenser ist) hatte Alex wohl anfangs mit »Shalom« begrüßt und insistierte, dass Alex Jude sein müsse, was dieser gar nicht gut fand. – An einem Tisch sitzen wir mit einem Kenianer (der auch Kiswahili spricht), einem Nigerianer und einem Somali. »Atbara, of all places!«, denkt man da nur.

Gegen 16 Uhr gehen wir mit Alex & Hassan los, um das ManU-Spiel zu schauen, und zwar in einer Klinik. Der Arzt dort ist wohl großer Fan und stellt bereitwillig seinen Flatscreen-TV bereit. Zunächst ist er nicht da, aber wir finden den Schlüssel und als er später kommt, scheint es ihn nicht zu stören, dass wir uns selbst rein gelassen haben.

Nach dem Spiel zieht Alex weiter, wir gehen essen und danach Haare schneiden und rasieren. Anschließend wechseln wir auf dem »Schwarzmarkt« – dem Auto-Teile-Geschäft eines von Hassans Freunden – zum bisher besten Kurs ($1 = 4.97 SDG) insgesamt $450.

Ganz anders als erwartet stellt sich Atbara somit als sehr freundlich und interessant dar.


Früher war Atbara für seine Eisenbahn bekannt – doch heute kann man nicht mal mehr die ehemals vielgereiste Strecke nach Port Sudan mit dem Zug zurück legen.

Auf der Westseite der Schienen ist das ehemalige britische Kolonial-Herrschafts-Viertel. Die Sandstraßen sind breit und schattig, und die Gebäude sind ein interessanter Mix aus europäischer und traditionell-sudanesischer Bauweise.

Drei Studentinnen auf dem Rückweg von der Universität.



Port Sudan

Zunächst waren wir ziemlich unsicher, ob wir mit unserer Travel Permission, auf der als Destination lediglich Khartoum gelistet war, überhaupt nach Port Sudan reisen könnten. Bisher hätten wir immer noch argumentieren können, dass wir auf dem Weg dorthin seien, aber die Abzweigung nach Port Sudan geht genau weg von Khartoum. Leider konnte uns niemand so wirklich sagen, ob wir nun dürfen oder nicht. Ein Polizist, den ich frage, scheint so etwas nicht zu wissen, folgert aber daraus, dass die Stadt nicht drauf steht, dass wir nicht hin dürfen. Wir entscheiden uns, es einfach drauf ankommen zu lassen.

Die Fahrt nach Port Sudan verlief entspannt – in einem großen Reisebus mit Frühstück und Softdrink inklusive. Niemand hat etwas an der Travel-Permit auszusetzen.

In Port Sudan angekommen bestehen die »Einreiseformalitäten« aus einem Typen, der zu uns ankommt und unsere Namen, Pass- und Visumsnummern auf ein zerknittertes Stück Papier schreibt und uns dann ein Taxi organisiert.

Das Hotel ist einigermaßen zentral gelegen und im ersten Stock; zunächst bekommen wir ein viertüriges Zimmer in angenehmen hellblau, ziehen aber ein paar Minuten später in ein erdfarbenes um, in dem die Betten besser sind und wir genau an der Hausecke mit zwei großen Fenstern sind. Die Toiletten sind leider eher be-schissen, im wahrsten Sinne des Wortes.

Die ersten beiden Eindrücke von Port Sudan sind »nix los« – überall breite, zweispurige Straßen, sauber, mit Bäumen auf dem Bürgersteig – und »Scheiß-Wetter«: die Luft ist ein dreckiges grau-blau, und um 16 Uhr, als wir uns eine Pizza gönnen, sieht die tief hängende Sonne durch den Sand-Nebel aus wie der Vollmond. Kaum irgendwelche Leute laufen durch die Straßen. Direkt vor dem Hotel ist ein Shisha-Cafe mit nettem Operator. Einen vorbeilaufenden Typen fragen wir, ob das Wetter immer so sei, und er verneint zum Glück: »Ist erst seit drei Tagen so.«


Unser Hotelzimmer: dreckig, dafür aber mit Ventilator an der Decke und zwei Fenstern zur Straße.

Die Tür schließt man von innen ab, indem man einen halb eingehauenen und dann umgebogenen Nagel um 90° dreht, so dass er die Tür »versperrt«. Höchst professionell.

Fast wie im Sozialismus, aber von den Briten gebaut: Weite Straßen, auf denen niemand unterwegs ist. Ganz am Horizont kann man ein Auto ausmachen.



Die Hafenpromenade ist nur wenig frequentiert, und macht auch sonst einen etwas desolaten Eindruck. Viele Buden, an denen man sonst Saft kaufen kann, haben nicht geöffnet.

Der Hafen als solcher ist aber wohl modern und leistungsfähig, und es legen einige große Schiffe an.

Nachts leuchtet der Himmel über dem Hafen in käsigem Gelb, wie vermutlich in jeder Hafenstadt.



Drei interessante Leute: Zunächst ein grimmig dreinschauender Typ, der sicherlich kein Sudanese ist; zuerst sehen wir ihn am ersten Abend in einem Cafe [eigentlich: niedrige Hocker auf dem Bordstein] ein paar Blocks vom Hotel entfernt, wie er Tee trinkt und über Ohrstöpsel Musik hört – heute morgen sitzt er dann in der Shisha-Bar. Im Rausgehen bleibt er vor uns stehen und erzählt in »fucking«-durchsetztem Englisch von den Stationen, die er in seinem Leben durchlaufen hat. Ursprünglich aus Kairo kommend war er u.a. in Holland (»fucking beautiful«), der Schweiz (Lausanne); längere Zeit in der Türkei, was ihm gut gefiel – warum ist nicht nicht da geblieben? Keine Antwort – und von da aus mit einem für $600 gefälschten Pass (einer Frau) weiter nach Nordafrika (Mauretanien, Marokko); später von Lybien durch Ägypten in den Sudan. In Khartoum sei es heiß, staubig und scheiße, schlimmer noch als Kairo; und nun sei er seit fünf Jahren in Port Sudan und arbeite als Fassadenmaler und -dekorateur. Verstehen tut er die »fucking sudanese people« nicht, und sie würden nicht pünktlich oder überhaupt nicht zahlen. (Er würde ja Leute mit Pistolen oder zumindest Messern losschicken, um das Geld einzutreiben, aber dann würde er ja ins Gefängnis kommen, sagt er.) Das Geld reicht vorne und hinten nicht »in this fucking country« – sprach's und zog ohne weitere kommentare von dannen. Aha.

Der Zweite ist der 64-jähriger Ex-Armee-Angestellte Kamal, der eine Weile im »Austauschprogramm« bei der US-Airforce nahe München stationiert war – 1968, als die Beziehungen zwischen den USA und dem Sudan augenscheinlich noch gut gewesen sein müssen – und erstaunlich gut Deutsch spricht; heute arbeitet er im UN WFP (World Food Program) bzw. wird Ende März pensioniert. Er lädt uns auf ein hastig runtergeschlungenes Ful ein, und danach auf einen ebenso hastig getrunkenen Tee mit Milch.

Und dann ist da noch Mohammed N., ein Freund von Hassan aus Atbara, den wir anrufen sollten, sobald wir in Port Sudan seien. Er klingt nicht begeistert und schickt jemanden, der sich uns als Chauffeur anbietet. Wir lehnen dankend an, und er dreht sich um und fährt wieder weg.

Die wohl interessanteste Story aus Port Sudan ist, wie wir im Krankenhaus waren. Das ganze lief in etwa so ab: Zur Feier des Tages haben wir uns im »Quiet Corner«, einer Pizzaria in der Nähe der Hafenpromenade, die mit gelben und roten Tüchern bezogene Stühle auf dem Bürgersteig hat, jeder eine große Pizza gegönnt. Das war das erste Mal seit einiger Zeit, dass wir so richtig viel gegessen haben. Tagebuch-Eintrag: »Lange nicht mehr so satt gewesen!«

Danach ging's für Zido bergab: Erst Kopf- und Gliederschmerzen, dann durfte die Pizza in die Toilette; heftige Kopfschmerzen und 39,6°C Fieber – das riecht nach Malaria! Kamal (vom WFP) übernimmt die Situation. Zunächst steuern wir zu Fuß zwei Pharmacies an, die können aber nicht auf Malaria testen. Also ein Tuktuk zum nächsten Krankenhaus. Gut, dass wir Kamal dabeihaben, der managt dort nämlich alles. Zunächst ein »Vorgespräch« mit einer schönen Doktorin in einem relativ überfüllten Zimmer – wir erhalten drei handgeschriebene Zettel, gehen raus, in die Apotheke vor dem KH, und besorgen eine fiebersenkende und schmerzlindernde Injektion, die – wieder drinnen – von einem Arzt verabreicht wird.

Dann gehen wir zu einem anderen Zimmer – wohlgemerkt gibt es keine Schilder und niemanden, der sich um uns »kümmert« – um Malaria zu testen. (Für die Einmalnadel müssen wir noch mal ein paar Pfund zahlen.) Zehn Minuten später das erstaunliche Ergebnis: keine Malaria! Also wieder zurück ins Vorbesprechungszimmer. Statt der schönene Doktorin sitzt dort nun ein relativ junger Doktor, der noch einmal nach Symptomen fragt, sich erkundigt, was Zido gegessen hat – bei taamiya (Falafel) lachen sie und glauben, den Schuldigen gefunden zu haben, obwohl ich den Tag über exakt das gleich gegessen hatte – und verschreibt dann das volle Programm: Breitbandantibiotikum (Made in Sudan!), Magen-Darm-Zeugs und Ibus, die rosa sind und gute Ecstasy-Imitate abgeben würden. Ab nach Hause, schlafen.


Während Zido sich regeneriert, fahre ich am nächsten Morgen gegen neun Uhr nach Suakin, in einem Bus, so dass es unbequemer kaum sein könnte: In dem zuklappbaren Mittelsitz kann ich mich 40 Minuten lang nicht anlehnen, und das Eisengestell des Sitzes vor mir hackt mir munter in Knie und Schienbeine. Auf dem Weg ziehen große (Flüchtlings?)-Camps vorbei, sowie die staatlichen Raffinerieanlagen »Bashir 1&2« (benannt nach dem 15-jährigen Diktator, jetzt gewähltem Präsident, ist klar).

Bevor Suakin 1905 vom von den Briten aus dem Boden gestampften Port Sudan (بورتسودان) abgelöst wurde, war es auch wegen der Fährverbindungen nach Jeddah [via der man die Hajj nach Mekka unternimmt] eine einflussreiche Stadt – doch davon ist nicht viel übrig geblieben. Herzstück der Stadt und der Grund, warum ich überhaupt da hin wollte ist eine kleine, von der neuen Stadt halbmondförmig umschlossene Insel, auf der alle Häuser aus Korallenblöcken statt Lehm oder Stein gebaut sind. Außerdem steht keines der Häuser mehr; aus einem mir unbekannten Grund wurde die Insel anscheinend verlassen und alle Häuser verfielen. Es sieht zumindest so aus wie nach einem gewaltigen Erdbeben oder Bombenangriff.

Ausländer müssen 10 SDG zahlen, aber das lohnt sich, um in der Mittagshitze über die Schutthaufen zu kraxeln. Ein türkisch-susdanesisches Projekt baut ein Gebäude sowie die Moschee wieder auf. Abgesehen von den Bauarbeitern und zwei türkischen Elektrikern ist niemand auf der Insel.


Blick über Berge von Korallen-Schutt auf die Moschee, die momentan wieder aufgebaut wird.

Eine Krähe sitzt auf einem einsam in der Gegend rumstehenden Pfeiler.

Abgesehen von Schutt gibt's hier eigentlich nichts, was man auf den Karren aufladen könnte.



Ein Statiker würde sagen: »Ja, aber natürlich steht der Bogen noch, ist schließlich das stabilste!«

Das Fortbewegungsmittel der Wahl auf der Insel ist das Fahrrad. Männer müssen hier genau wie Frauen in Europa aufpassen, dass die Galabija nicht in die Speichen gerät.

Die Fensterbögen sind noch ganz.



Der koloniale Einfluss ist unverkennbar: Ein von Briten erbauter Hauseingang.

Ein geräumiger Innenhof.

Die Moschee wird von einem türkisch-sudanesischen Kooperationsprojekt wieder aufgebaut.



Kassala

Der Bus nach Kassala (كسلا) fährt schon um sechs Uhr morgens, so dass wir kurz vor fünf aufstehen. Vor Ort können wir aber noch in Ruhe Tee trinken. [...] Die Ankunft in Kassala kommt unerwartet: wir biegen links ab und plötzlich erscheinen Berge am Hotizont. (Auf der Fahrt hatten wir über Stunden Hitze-Erscheinungen auf dem platten Land, die wie ein beginnender Ozean aussahen – nur dass sie im Westen waren, und das rote Meer wenn dann im Osten ist.)

Mein Sitznachbar aus dem Bus, der kein einziges Wort Englisch kann, gibt mir via einem Freund zu verstehen, dass er uns zu sich nach Hause einladen will. Ein verwirrender Spaziergang mit Gepäck durch die Sonne beginnt, an dessen Ende sich heraus stellt, dass Mohammed gar keine Familie in Kassala hat, sondern selbst in einem Hotel wohnt (?!) – Also ziehen wir ins Hipton, die mit $20/Nacht bisher teuerste Option der Reise, aber wieder komplett mit A/C, lauwarmer Dusche und einer »Veranda« mit gemütlichen Sesseln.

Auf dem Sonnenüberfluteten Dach wasche ich Wäsche, die innerhalb von zwei Stunden trocknet.


Es ist das erste Mal, dass wir nicht nur einen geraden und platten Horizont sehen: Eindrucksvolle Berge am Rande Kassalas.

Bei weitem die beste Wasch-Vorrichtung findet sich in unserem Super-Hotel auf dem Dach: Die Wasch-Schüsseln sind groß, lassen sich direkt befüllen und auch vor Ort auskippen.

Die Häuser in der Umgebung sind nicht ganz so fertig gebaut wie unseres: Man lässt die Stahlbetonträger stehen, um später, wenn Geld da ist, höher zu bauen.



25. März 2012

Erster richtiger Tag in Kassala – wir schlafen erst mal in Ruhe aus. Gegen Mittag gehen wir frühstücken (Ful & taamiya), danach gegenüber einen Saft (mit 5 EL Zucker angereichert) und Kaffee trinken. Dort treffen wir Heny, mit dem wir den ganzen Tag verbringen werden. Ursprünglich in Kassala geboren ist er bei einem seiner Brüder in Melbourne, Australien, aufgewachsen und war auch eine Weile lang in den USA (New York). Er spricht top Englisch und – da er nichts zu tun hat – führt er uns durch die Stadt. Zunächst über die Märkte, wo wir Mangosaft trinken (top!) und später mit dem Taxi durch die üppigen Felder am Rande der Stadt, in der Nähe des ausgetrockneten Flussbettes, das im Herbst zu einem reißenden Fluss wird.

In einem kleinen Café machen wir Halt, trinken Kaffee (traditionell aus Tonkrügen und kleinen Porzellantassen) und unterhalten uns eine Stunde lang. Heny erzählt viel von seinem Leben in Melbourne, von seinem Job, seiner gescheiterten Ehe (»sie wollte immer nur feiern«) und wie schwierig es sei, hier eine eigene Farm zu betreiben (Strichwort: Mafia) – eigentlich will er sie wieder verkaufen und zurück nach Melbourne.

Dann fahren wir – wieder mit einem Taxi, auf das er uns einlädt, wie auf sonst alles andere auch – an den Fuß der Berge. Dort tummeln sich diverse, meist junge Leute in den bunten Cafés. Ich klettere eine halbe Stunde in den Bergen rum und mache Poser-Fotos mit zwei Jungs, die auch dort oben sind. Später rauchen wir eine Shisha, bis die Sonne untergegangen ist. Ziemlich erschöpft fahren wir nach Hause. Abendprogramm: Bayer Leverkusen vs. Schalke auf Dubai Sports 2.

Heute morgen will ich gegen halb neun das Hotel verlassen, doch ein Polizist (in Galabija und moderner Sonnenbrille) kommt an und bittet mich um Passkopien. Wieauchimmer.

Ich klettere vier Stunden in der prallen Sonne in den Bergen rum und verstauche mir nur durch Glück nicht den Knöchel.


Die Cafés am Rande der Totil-Berge. In den frühen Abendstunden kommen viele frisch verheiratete junge Paare hier her, manche halten sogar Händchen in der Öffentlichkeit. Man trinkt Fanta und Cola.

Als »unwahrscheinlich« kann man die Form dieser Berge beschreiben – aber es lässt sich wunderbar darin herumklettern. Der eine Berg wird aber von einem Rudel Berghunden bewacht, die mich durch Bellen verscheuchen.

Diese halb fertig gebaute, sich in Renovierung befindliche Moschee darf nicht benutzt werden, ist aber eines der Wahrzeichen von Kassala. Mit etwas Phantasie sieht sie wie eine Brauerei aus.



Die Wasseraufbereitungsanlage, die ganz Kassala mit Wasser versorgt, ist einfach so am Straßenrand gebaut worden. (Natürlich von den Chinesen.)

Während im Frühling und Sommer Kinder Fußball in diesem ausgetrockneten Flussbett spielen, sieht es im Herbst hier ganz anders aus: Dann ist der Fluss so reißend, dass eine Überschwemmung in 2003 sogar mehrere Bewohner von Kassala das Leben kostete; daraufhin bauten die Chinesen einen Schutzdamm.

Traditionell trinkt man in Port Sudan und Kassala Kaffee aus einem Jabana – manchmal aus Ton, manchmal wie hier aus Metall – in dessen Öffnung als »Filter« Fasern reingesteckt werden, sowie kleinen Porzellantassen.



Nahe der Berge findet man die typischen sandigen, hubbeligen Straßen. Viel los ist hier allerdings nicht, erst in den Abendstunden kommen viele junge Leute und steigen in die Berge.

Nahe unserem Hotel ist der Markt. Hier geht es wesentlich geschäftiger zu: Die Leute laden gerade 50-Kilo-Säcke Mehl(?) ab, während wir im Schatten einen spendierten Kaffee genießen. Einer winkt zu uns rüber und gestikuliert, wir sollen doch auch mal einen Sack tragen.

Fortbewegungsmittel der Wahl ist ein Zweirädriger Wagen, der von einem Esel gezogen wird. (Ab und zu auch ein Pferd.) In dieser Straße sieht man immerhin 15 von ihnen, aber nur 14 Autos. Am Rande der wenigen geteerten Straßen sind Schilder mit durchgestrichenen Karren: »Hier nur Autos!«



27. März 2012

Der Knöchel tat dan doch ganz schön weh nachmittags. Mit ein bisschen Eis und rumliegen hatte er sich dann aber abends wieder beruhigt. Abendprogamm: »Bankok Dangerous«

Am nächsten Tag treffen wir Heny auf dem Weg zum Ful-Essen – er hatte seine Sim-Karte gewechselt, so dass wir ihn nicht erreichen konnten – und fahren in ein großes, abgelegenes Dorf außerhalb Kassalas. Wir haben keine Pässe dabei, was am Checkpoint – das Dorf liegt nahe der eritreischen Grenze – etwas Probleme verursacht, aber Heny tritt als »Garanteur« auf, und wir dürfen durch. Zusammen mit seiner Mutter und einer seiner Schwestern versorgt er aus Melbourne zehn Haushalte in und um Kassala, in denen Familieangehörige leben, mit Geld für Strom, Wasser und Essen.



Die traditionelle Bauweise: Kreisrunde Häuser aus Lehm, mit getrockneten Palmwedeln gedeckt. Innen ist es meist erstaunlich kühl.

Der Sand ist hier rot. Weil das Land absolut platt ist, weht Plastikmüll ungehindert durch die Gegend und verfängt sich in Sträuchern nahe der Häuser. Dadurch sieht alles ein bisschen lieblos aus.

Ein Mädchen trägt ein Tablett. Frauen tragen generell häufig schwarze Roben, in Kassala gibt es aber kaum Burka-Trägerinnen. Aber auch so wird das ganz schön warm sein.



»Jemand müsste den Lastwagen mal reparieren« – ach, da sitzt ja schon jemand drunter und schraubt dran rum! So gesehen stört es aber eigentlich auch niemanden, dass der Laster dort auf Ölfässern aufgebockt steht: Platz gibt es ohne Ende.

Ein paar privilegierte Häuser werden mit Strom versorgt. Im Hintergrund die eindrucksvollen Berge aus einem anderen Blickwinkel.

Während sich kein Haus auch nur einen Anstrich leisten kann, sieht die Moschee so neu und modern aus, dass man sich fragt, ob's ein bisschen weniger nicht auch getan hätte.



Khartoum

Die letzte Station unserer Reise ist Khartoum (Kh ausgesprochen wie ch in Ach), die Hauptstadt des Sudan. Allem Vernehmen nach soll es dort groß, modern, laut, schnell – ach überhaupt alles sein. Der komplette Sudan ist auf Khartoum ausgerichtet: Dort befindet sich der Sitz einer jeden Firma, alle Ministerien, der einzige ernstzunehmende internationale Flughafen; auch der Großteil der sudanesischen Industrie ist in Khartoum angesiedelt. (Zumindest waren ohne Ausnahmen alle Waren, die wir die vergangenen Wochen verpackt oder abgefüllt gekauft hatten, in Khartoum produziert worden.)

»Khartoum« bezeichnet eigentlich in der Regel die Metropolregion Khartoum, in der ziemlich viele Menschen leben. Wie viele, kann man nicht genau sagen – vielleicht 10 Millionen? –, und die Stadt wächst rasant. Durch die besondere geografische Situation (den Zusammenfluss von Blauem und Weißem Nil) ist Khartoum eigentlich drei Städte, die aber fließend ineinander übergehen: Khartoum Proper, südlich vom Zusammenfluss zwischen den beiden Nilzuflüssen eingeschlossen; Omdurman, das traditionell arabische Viertel westlich des Nil; und Kartoum Bahari im Nordosten des Zusammenflusses, das relativ neu und stark industriell geprägt ist.

Der erste Eindruck von Khartoum ist ein entspannter: Zwar bieten sich einige Geldwechsler an, aber selbst der Gang durch das nahe gelegene Marktviertel ist entspannt. Es ist angenehm warm – während der Zeit, in der wir da sind liegen die Temperaturen kurz nach Mittag bei etwas über 40°C. An jeder Ecke gibt es guten und günstigen, frisch gepressten Saft: Orange und Mango stehen hoch im Kurs, aber auch Grapefruit gibt's häufig.

31. März 2012

Den ersten wirklichen Tag in Khartoum haben wir Tuti Island besucht, und den ersten Sonnenbrand der Reise bekommen. [...] Die Insel liegt zwischen weißem und blauem Nil, mitten zwischen den drei Städten [Khartoum, Khartoum Bahari, Omdurman] – und an der Nordspitze kann man die »confluence«, also den Zusammenfluss der beiden Nilströme sehen. Früher nur per Boot erreichbar, ist die Insel heute im Süden über eine moderne (chinesische) Brücke mit der an-Nil-Street verbunden. Zunächst gehen wir auf einer Teerstraße lang, später durchqueren wir verschlungene Gassen eines komplett aus Ziegeln gebauten Dorfes, und den Rest des überraschend langen Weges müssen wir durch Felder gehen. Von zwei Ziegelherstellern werden wir zum Tee eingeladen. Die Confluence selbst ist nett, und man kann die beiden Nilströme tatsächlich gut unterscheiden. Abends kehren wir zurück, trinken zwei Liter Saft, essen und gehen schlafen.


Die drei zusammenwachsenden Städte: Westlich des Nil das traditionell arabische Omdurman mit einem großen Marktviertel; im Nordosten Khartoum Bahari, das Industrieviertel, dessen Wohnquartiere aber nach Osten extrem ausufern; zwischen den beiden Zusammenflüssen und sich in Richtung Süden schier endlos erstreckend: Khartoum; und schließlich mittig in Bananenform zwischen Weißem und Blauen Nil: Tuti Island. Tip: Reinzoomen!


Die »Confluence«: An der äußersten Nordspitze von Tuti Island fließen der Weiße Nil (links) und der Blaue Nil (rechts) zusammen. Man erkennt der Unterschied deutlich, auch wenn man ad hoc wohl eher »Hellbrauner Nil« und »Grüner Nil« sagen würde.

Der Weiße Nil ist stärker und drängt den Blauen Nil nach rechts ab. Im Hintergrund die Brücke zwischen Khartoum Bahari und Omdurman. Von nahem darf man die Brücken nicht fotografieren, das ist eine Freikarte ins Gefängnis – auf manchen Brücken laufen gerüchteweise sogar Zivilpolizisten herum, eben deswegen.

Diese beiden Ziegelmacher treffen wir auf dem Weg, und sie laden uns auf ein Glas Tee ein. Kommunikation ist schwierig, aber wir können ein bisschen Arabisch und sie ein paar Worte Englisch.



Der Blick nach Süden wird sich vermutlich in den kommenden Jahren stark verändern: Das von einem libyschen Staatskonzern erbaute Luxus-Hotel Burj Al-Fateh ist ein Vorbote dafür, wie sich der Sudan, und besonders Khartoum, durch die kulturelle wie vor allem wirtschaftliche Öffnung wandeln wird.

Es ist schon recht paradox, mitten in der riesigen Stadt eine Insel zu haben, auf der ernsthaft Landwirtschaft betrieben wird. Hier: Ein Esel, der uns zunächst nur unwillig passieren lässt; im Huntergrund das Burj Al-Fateh.

Im Hintergrund die Skyline der Stadt, im Vordergrund das einfache Leben: Links auf der Sandbank sind ein paar Ziegen, rechts legen ein paar Fischer in einer kleinen Nussschale an einem komplett mit Plastik vermüllten Hang an.



»Ich habe ein Baby-Krokodil gesehen!« – »Red' nicht, das war eine Eidechse!« – »Ich zeig es Dir!«, und dann vergebliches Warten.

So eine Art Gartentor.

Hunderte von Vögeln fliegen auf, als wir an den Feldern vorbeigehen.



Freitags scheint Tag der großen Sehenswürdigkeiten in Khartoum zu sein: Statt zum Nuba Wrestling oder zu Mahadis Grab gehen wir zum Grab Hamad al-Nils, wo nachmittags Derwischtänze stattfinden.

Als wir ankommen ist noch nicht viel los – wir trinken erst mal Tee und lernen einige Leute kennen. (Faszinierend ist ein Typ ohne Hände, der trotzdem mit seinen Armstümpfen eine Zigarette halten kann, die er ironischerweise mit einem Feuerzeug in Form einer Handgranate(!) anzündet.) – Der Tanz als solcher ist nett anzusehen, aber größtenteils unterhalte ich mich mit ein paar Jugendlichen, die überraschend gut Englisch können. Am Rande des Kreises steht eine asiatische Reisegruppe – ein Typ trägt Mundschutz, Brille, Cap und einen an den Schirm gehefteten Duftspender (wie ein Duftbaum im Auto). Bizarr. Andere Touristen gehen mit Rucksack vor dem Bauch geschnallt und Spegelreflexkamera im Anschlag direkt in den Kreis und machen hemmungslos Fotos. Fremdscham pur.


Der große Kreis, der sich um die Tanzenden formt, besteht zum großen Teil aus Freunden oder anderen Schaulustigen, die aber nicht unbedingt Sufis sind – die tragen nämlich meist eine Galabija in den unüblichen Farben grün-rot. Die umstehenden sind meist recht traditionell gekleidet, weil es Freitag ist und sie aus der Moschee kommen.

Mit Mund-, Sonnen- und Geruchs-Schutz unterwegs: Ein asiatischer Tourist. Einmal spreche ich chinesische Arbeiter an, die aber kein Englisch können und mich auslachen, weil ich so wenig Arabisch spreche.

»Komm, ich gehe mal mit meiner Kamera mitten zwischen die ekstatisch tanzenden Sufi-Anhänger. Das werden sicherlich tolle Fotos!« – Ich würde mich ob der skeptischen Blicke schon unwohl fühlen, aber auch über respektvollen Umgang mit fremder Kultur scheinen sich die beiden keine Gedanken zu machen.



Anders stilisiert und noch etwas abschreckender gekleidet könnte der Mann links in Balaklava auch den Jihad ausrufen. Hier ruft man bloß, dass Allah groß sei.

So manch einer ist interessanterweise in Stofffetzen mit Tiegerfellmuster gekleidet.

Das Ritual läuft nicht sehr durchgeplant ab. Viele der Älteren schwingen Stöcke durch die Luft und tanzen durch die Gegend.



Zido lernt gegen Schluss einen in Florida wohnenden, aber aus dem Sudan stammenden Arzt kennen, der zehn Jahre in Hamburg studiert hat und auf St. Pauli gewoht hat. Er kann ziemlich gut Deutsch und ist auch sonst ein ziemlich cooler Typ. Er fährt uns in seinem luxuriösen Auto nach Hause. Spruch des Tages: »Holsten knallt am dollsten!«

Am gleichen Abend noch beim Zähneputzen lerne ich Mahmud kennen, einen Ägypter, der mit seinem Onkel im gleichen Hotel wohnt. Wir unterhalten uns noch bis fast drei Uhr morgens, wobei »unterhalten« ein Euphemismus für Mahmuds Erzählung seiner Lebensgeschichte ist. Sein Onkel hat eine Weile in Deutschland gelebt und weiß ein paar Geschichten zu erzählen – unter anderem wurde seine unterkunft, in der er mit drei anderen Ägyptern und ein paar Iranern wohnte, Schauplatz eines wie er sagt »Bombenangriffes« von Nazis. Mahmud redet statt ernster Dinge eigentlich nur über Frauen und ein bisschen über ägyptische Politik.

Am nächsten Morgen fahren wir nach Omdurman, in der Hoffnung, T-Shirts und Hosen zu kaufen. Leider entpuppt sich der Markt in dieser Hinsicht als volle Enttäuschung: Es gibt nur billigen China-Scheiß. – [...]

Wenn man das so liest, klingt das vielleicht ein bisschen hart, aber es entspricht der Wahrheit. Während man zum Beispiel in Tansania gut gefälschte Markenklamotten bekommt, die einfach mal zwei, drei Jahre halten, gibt es auf jedem Markt, in dem wir in Khartoum waren, nur Mist: Die beste Qualität ist ungefähr so gut wie die Sonderangebote bei »Kik«: also dünnste Baumwolle, häufig mit Polyester drin. Die Marken der T-Shirts lauten »Sport« oder »Quality«, typische, schlechte Imitate von amerikanischen Marken. Auf dem Rückweg vom Marktviertel sitzen wir im Bus gegenüber von einem Typen, der eine Ecko-Hose trägt; ich frage ihn hoffnungsvoll, wo er die gekauft hat, aber er antwortet: »In Ruanda.« Alle anderen Qualitätsprodukte kommen aus den Emiraten.

Unser Hotel al-Haramen liegt ziemlich zentral in Khartoum, nahe der »Großen Moschee«, die morgens auch ziemlich laut ist. (Langsam wissen wir, dass man im Islam denkt, Allah sei groß und gütig und wasauchimmer. Wiederholung macht's ja nicht wahrer.) Im Vergleich zu unserem Zimmer in Port Sudan ist dieses Hotel, was uns von Kamal empfohlen wurde, eigentlich ganz okay; auch die Toiletten sind sauber, wenn auch nicht berauschend.


Das Hotel aus der Ferne. Unser Zimmer geht nach hinten raus, liegt dafür aber nicht in der Mittagssonne. Vor dem Hotel herrscht immer geschäftiges Treiben.

Das Hotel hat zwei Stockwerke, aber die Stahlstreben sind noch da, so dass man prinzipiell noch höher bauen könnte. Jetzt trocknet man oben Wäsche und bewahrt den Wassertank auf.

Im Vergleich zu anderen Hotels ist diese Toilette sauber und angenehm. Das Rohr an der Wand rechts macht oben einen Knick und wird so zur Dusche ohne Duschkopf.



In dieser Situation verbringt man jeden Tag mehrere Stunden: Im Halbkreis auf kleinen Hockern um eine Teefrau sitzend und Tee oder Kaffee schlürfend.

Die Ausstattung der Teefrauen ist fast immer identisch: Ein rechteckiger Herd mit Kohle, zwei Kannen, zwei Schüsseln zum Abwaschen, diverse Gläser zur Aufbewahrung von Tee, Kaffee, Zucker und Kräutern/Gewürzen mit darauf abgestellten Jabanas (Kaffeekrügen).

Blick vom Hoteldach.



Die ersten Tage ist es sehr entspannt; aber nachdem Mahmud und sein Onkel auch dort wohnen, werden die Tage anstrengend: Ständig kommen die beiden an, ob wir nun im Zimmer sind, vor dem Hotel sitzen, oder gerade los gehen wollen. Sie sind mit ihrem Geld fast am Ende und auf der verzweifelten Suche nach einem Job. Gefühlte sieben Mal am Tag haben sie eine neue Idee, wie sie ein Business starten können: Das geht über Unsinnsideen wie »Ich bringe den Leuten ungefragt einen Zaubertrick bei und verlange dann 1 SDG dafür« über halbwegs sinnvolle Ideen – »wir machen einen Laden auf, in dem wir Saft verkaufen, aber auf ägyptische Art gepresst!« – bis hin zu für Leben und Wohlergehen gefährlichen Ideen: Einen Tag kauft Mahmud von der Geheimpolizei Marihuana, mischt es mit Molasse aus Shisha-Tabak und Henna-Pulver(!) und verkündet stolz, dass er dieses »Hashish«, wie er es nennt, nun nach Ägypten transportieren wird und damit einen florierenden Handel aufziehen wird.


Was man nicht alles so am Straßenrand findet: Auf dem Weg zum wenig eindrucksvollen Souq ed-Dinka kommt man an einem Open-Air-Second-Hand-Sanitärfachhandel vorbei.

Eine Ecke von unserem Hotel entfernt kann man sich aber auch mal schnell am Straßenrand rasieren lassen. Das ist zwar ziemlich stilvoll, ...

... leider aber auch eine ganz schön blutige Angelegenheit: Trocken mit einer Einmal-Rasierklinge, die mein Friseur zwischen Daumen und Zeigefinger hält.



Ein Touristenvisum für den Sudan ist nur 30 Tage lang gültig, und das ab Ausstellungs-, nicht ab Einreisedatum. Da unser Rückflug am 8. April geht, unser Visum aber schon am 3. April ausläuft, hadern wir lange mit uns, ob wir noch ein paar Stunden oder gar Tage Urlaub in den Einwanderungsministerien machen oder es bei der Ausreise darauf ankommen zu lassen, dass die Grenzbeamten kulant sind.

Um der Frage zunächst auf unverfängliche Art auf den Grund zu gehen, besuche ich das EgyptAir-Büro, um unsere Flüge bestätigen zu lassen, zeige das Visum und frage, ob ich das verlängern muss. Als Antwort verweist man mich an das Hauptpolizeirevier ein paar Straßen weiter.

4. April 2012

Fast am Ende unserer Reise müssen wir doch noch durch die Bürokratiehölle: Visums-Verlängerung. – Nach dem Besuch beim EgyptAir-Office wurde ich zur Zentrale der Polizeit geschickt, um die Visumsfrage zu klären. Dort treffe ich Mr. Taj, der gerade in seinem Auto nach Hause fahren will; er sagt, ich solle morgen in sein Büro kommen, er könne mir helfen.

Es stellt sich heraus, dass Mr. Taj nicht nur sehr freundlich ist und gut Englisch spricht, sondern außerdem ein hochrangiger Polizeioffizier und Chef der UN Peacekeeping Forces in Khartoum ist. Hui! Eine Nachfrage im Nachbargebäude ergibt, dass ich ins Immigration Office muss; außerdem brauchen wir einen Garanteur. Doch die deutsche Botschaft schließe ich aus: zumidnest dauert es lange, und im Zweifel werden sie sich – wie in Kairo – weigern, für irgendwas oder irgendwen zu garantieren. Mr. Taj ruft einen Freund im Immigration Office an – die Lösung ist, dass einfach er selbst als Garanteur auftritt.

Aber es kommt noch besser: er holt jemanden, der mich im seinem Dienstwagen [dem von Mr. Taj] mit Polizeikennzeichen dort hin fahren wird. Angekommen präsentiert sich das reinste Irrenhaus. Überall sitzen und stehen Leute, und an den diversen Countern sind schwer zu durchschauende »Schlangen« – keiner der Counter ist beschriftet. Doch mein Helfer weiß alles souverän zu managen: zunächst machen wir Fotokopien von den Ausweisen und dem Dienstausweis von Mr. Taj, den er uns mitgegeben hat; dann fülle ich die Visa-Extension-Formulare aus – dort wird paradoxerweise nach drei »reference persons in country of origin« gefragt, sowie nach drei Passfotos, die aber nicht nötig zu sein scheinen – und dann reichen wir Pässe und Anträge vom einen zum anderen Fenster. Die jeweiligen Beamten gucken jedes Mal kritisch drauf, so als hätten sie sowas noch nie vorher gesehen, rücken dann aber nach einigen Minuten doch ihren entsprechenden Stempel oder die Unterschrift raus. Für eine Unterschrift müssen wir ins Auto steigen und ein paar Kilometer weiter zum »Aliens Office« fahren.

Wieder zurück geht es ans Bezahlen, und leider habe ich nicht genug für beide Extensions dabei: das wird sich noch als extrem zeitraubend herausstellen. Zwar habe ich $50 dabei (das entspricht genau den Gebühren), aber es gibt keine Geldwechsler weit und breit. Zido bekommt seine Extension (von zwei Monaten?!) und ich muss am nächsten Tag wieder kommen. Zurück bei der Polizei sitze ich noch eine Stunde bei Mr. Taj und unterhalte mich.

...

Heute morgen dann Visumsverlängerung, Teil 2: Sollte eigentlich einfach werden, bezahlen, Aufkleber in den Pass, fertig. Mit dem Bus finden wir gut hin, doch der Bezahl-Counter ist nicht besetzt. Wir warten zwei Stunden, doch nichts passiert. Dann kommt ein Inder, der für Qatar Airways arbeitet, und will einen ähnlichen Antrag für ein Multiple Entry Visum bezahlen. Vom Supervisor erfährt er, was einfach zu verrückt klingt, um wahr zu sein, und doch ist es so. (Weil Mahmud kommt kann ich nicht weiterschreiben.)

Trophäe für erfolgreiche Bewältigung sudanesischer Bürokratie: Eine Visa-Extension. Notabene ist als Garanteur Mr. Taj mit vollem Rang eingetragen.

6. April 2012

... und doch ist es so: Irgendwo »weiter oben« wurde beschlossen, gewisse Preise anzuheben, daher weiß der Bezahl-Schalter momentan nicht, wie viel er kassieren muss und macht erst mal ein Meeting. Mit dem Inder fahren wir ins »Aliens Building«, wo ich zumindest einen der zwei Beträge bezahlen kann, aber ein paar Counter weiter heißt es nur lapidar: »Morgen um neun«, was mich ziemlich aufregt, denn schließlich muss ich ja nur noch bezahlen und brauche keine Unterschriften mehr.

Mit einem Tuktuk fahren wir zurück, und der überraschend verständnisvolle Supervisor bittet uns, zu warten. Wir essen chinesisch in der Afra Mall [dem einzigen Einkaufszentrum im Sudan] – dort ist es schrecklich – kommen zurück und erfahren: »bokra, inshaallah (Morgen, so denn Allah will)!«

Der dritte Tag des quest for visa extension verläuft so, wie der zweite hätte verlaufen sollen: Kurz nach acht bin ich da, der Counter ist wieder mit Marken und Rechnungsblöcken bestückt, und ich zahle noch einmal 41 SDG. (Insgesamt war die Erhöhung also 6 SDG, etwas mehr als ein Dollar, und dafür habe ich einen ganzen Tag verschwendet.) Die Extension gilt zwei Monate, auch wenn zwei Tage reichen würden.

Nach ein paar Tagen in der Stadt lernen wir einige Studenten kennen. Es ist nach der Universität in Atbara das zweite Mal, dass wir Leute in unserem Alter treffen, mit denen wir uns gut (oder überhaupt) unterhalten können. Wir lernen sogar Studentinnen kennen, was ich eigentlich für undenkbar gehalten hätte.

Nena lädt uns ein, sie an der Sudan University zu besuchen, wo sie Chemie studiert. Sie stellt uns diverse Freundinnen und Freunde vor, und zeigt uns außerdem die einzige Fakultät für »fine and modern arts« im Sudan.

Ich unterhalte mich eine Weile mit Selma, einer der besten Freundinnen von Nena, die bildhübsch ist. Sie hat elf Geschwister – ihr Vater hat zwei Frauen – und hat früher in Saudi-Arabien gelebt, wo sie fünf Jahre lang Burka tragen musste. Glaubhaft macht sie mir klar, dass das dort, wo es noch weitaus heißer als Khartoum-typische 40°C wird, erst recht die reinste Folter ist.


Die Eingangspforten der Universität sind getrennt: Rechts gehen die Frauen – mit modischen und meist einfarbigen, aber in der Gesamtheit bunten Kopftüchern bekleidet – rein und raus, ...

... links die Jungs. Direkt hinter der Pforte finden aber wieder alle zusammen, auch jegliche anderen Aktivitäten finden gemeinsam statt.

Skulpturengarten in der Sudan University. Im Vergleich zur sonst komplett sandigen Stadt ist es hier angenehm grün.



Die ausgestellten Bilder haben ein gemeinsames Motiv: Hunger, Zwietracht, Armut, Krieg und Tod. Hier: Ein hungerndes Kind, der Geier wartet im Hintergrund.

Barfuß flieht die Bevölkerung, gefolgt von Hunden. Die neusten Abdrücke sind die der schweren Stiefel von Soldaten, die sie verfolgen.

Beklemmend echt: Der Schattenwurf genau zur Mittagszeit lässt die Dargestellten fast real aussehen.


Nachdem wir drei nervenaufreibende Tage mit Bürokratiebewältigung verbracht haben, bleibt uns gar nicht mehr so viel Zeit. Wir treffen uns mit den paar Leuten, die wir kennen gelernt haben. Mit einer Gruppe von Ägyptern, die wir beim Tee trinken kennen gelernt haben, gehen wir von ein bis drei Uhr nachts auf einem gemieteten Kunstrasenplatz mit Flutlicht Fußball spielen. – Aber mental sind wir schon fast wieder in Deutschland, stellen Pläne an, was wir als erstes machen, wenn wir wieder da sind.

Meine Reiseaufzeichnungen schließen mit dem folgenden Satz:

Ich kann mich nicht an einen einzigen Tag im Sudan erinnern, an dem mir das Wetter zu kalt gewesen wäre. Herrlich.